Newsletter November 2023

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser des Newsletters der Vereinigung der Waldorfkindergärten,

mit dem November-Newsletter erhalten Sie einen Einblick in die Vertreterversammlung, die vom 17. bis 19. November in Mainz stattfand, mit einem Foto vom dort neu gewählten Vorstand. Zudem können Sie einen Bericht aus dem Vortrag von Frau Prof. Dr. Greubel von der Alanus Hochschule zu „TRIALOG – Ganzheitliche Bildungsdokumentation für Waldorfkindergärten“ vom Freitagabend lesen.

Markus Reuvers, seit kurzem in der Geschäftsleitung, stellt sich Ihnen im Folgenden vor. Mit den Vorstandswahlen und einigen ergänzenden Punkten bei der Vertreterversammlung ist die Organisationsentwicklung nach mehreren Jahren jetzt weitgehend abgeschlossen und umgesetzt.

Uns ist die Auseinandersetzung mit Partizipation sehr wichtig, dieses Thema wird auch beim Dreikönigstreffen im Januar als „Sternenthema“ für das folgende Jahr fortgesetzt werden.

Mit dem Nachruf auf Elisabeth Moore-Haas würdigen wir eine der Pionierinnen unserer Bewegung, und so kann ein Stück Geschichte der weltweiten Vereinigung lebendig werden.

Der Bericht von der alljährlich stattfindenden Herbstfachtagung in Stuttgart gibt einen farbigen Einblick in eine sehr stimmungsvolle und mutmachende Tagung.

Die Buchbesprechung verweist auf ein in den Konzeptionen immer wieder zu bearbeitendes Thema, das uns zutiefst mit den Eltern, welche uns ihre Kinder anvertrauen, verbindet. „Ankommen dürfen statt loslassen müssen“ klingt schon im Titel einladend. Autorin ist Lea Wedewardt, Kindheitspädagogin M.A. und ehemalige Waldorfschülerin.

Es gab mehrere Nachfragen bei der Anmeldung zum Newsletter. Das seit mehreren Jahren übliche Double-Opt-In-Verfahren – Sie erhalten eine Bestätigungsmail und können Ihr Newsletter-Abonnement über die Bestätigung der Mailadresse frei geben – ist jetzt eingerichtet worden. Das Anmeldesystem hat grundsätzlich durchgängig funktioniert und wir haben regelmäßig Neuanmeldungen erhalten.

Der Newsletter kann von allen Interessent:innen abonniert werden, er wird auch an private Mailadressen versandt. Wir freuen uns über das Interesse an der Waldorfpädagogik in der frühen Kindheit!

Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen des Newsletters der Vereinigung der Waldorfkindergärten!
Mit herzlichem Gruß!

Birgit Krohmer
Referentin für Öffentlichkeitsarbeit

 

 

Vorstandswahl bei der Vertreterversammlung in Mainz

Neu in den Vorstand gewählt wurden bei der Vertreterversammlung in Mainz am 19.11.2023 Tatjana Funk, Frank Kaliss, Dagmar Scharfenberg und Beate Wohlgemuth. Thomas Geller ist weiter im Vorstand, er wurde bereits vor einem Jahr gewählt.

Auf dem Foto von links nach rechts: Frank Kaliss, Beate Wohlgemuth, Dagmar Scharfenberg, Tatjana Funk und Thomas Geller

 

 

 

Vorstellung von Markus Reuvers, Geschäftsleitung der Vereinigung der Waldorfkindergärten

Markus Reuvers

Fragen an Markus Reuvers
Im vorangegangenen Newsletter hatte sich Sabine Cebulla-Holzki als eine der beiden neuen Geschäftsleitungen vorgestellt. Heute stellt sich Markus Reuvers, auch neu in der Geschäftsleitung, vor. Mit dem Wechsel wurde eine neue Arbeitsweise aus einem längeren Organisationsentwicklungsprozess umgesetzt.

Was war Ihr Motiv, sich auf diese Stelle zu bewerben?

Zunächst hat mich der angekündigte Weggang von Oliver Langscheid überrascht, wir haben über die Jahre, in denen ich als Geschäftsführer für die Region NRW tätig war, exzellent zusammengearbeitet. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich akzeptieren konnte, dass seine Entscheidung endgültig war.
Meine konkrete Motivation für die Arbeit als Geschäftsleitung war es und ist es, einen positiven Beitrag für die Entwicklung unserer Vereinigung zu leisten. Ich fühle mich unseren Idealen verpflichtet und sehe in meiner sinnstiftenden Arbeit zudem ein großes Potenzial zur persönlichen Weiterentwicklung. Letztlich haben die zahlreichen Gespräche mit Verantwortlichen in der Vereinigung und zuletzt auch die eigene Auseinandersetzung mit dem potenziell nächsten Schritt auf meinem Lebensweg mir den Mut dazu gegeben, die Bewerbung zu schreiben.
 

Bitte stellen Sie sich kurz vor mit einem Einblick in die bisherigen Tätigkeiten.

Ich war lange Jahre als Key-Account Manager rund um das Büro tätig, diese Arbeit hat mir zunächst viel Freude gemacht, im Laufe der Zeit habe ich allerdings gemerkt, dass mit etwas fehlt. Vor circa sechs Jahren begann ich mich, inspiriert durch mein privates Umfeld, für die Anthroposophie zu begeistern. Themen wie Reinkarnation, die geistige Welt oder der eigene Schicksalsweg haben meinen Horizont maßgeblich erweitert und ein starkes Bedürfnis nach persönlicher Entwicklung geweckt.

Vor nunmehr dreieinhalb Jahren bot sich mir die Chance, mich auf die Nachfolge von Herrn Neumann in der Geschäftsstelle NRW zu bewerben; seitdem war ich als Geschäftsführer in der Region NRW für unsere dort ansässigen Kindergärten tätig.

Während der Tätigkeit in NRW habe ich von Beginn an besonderen Wert auf die Zusammenarbeit und die Vernetzung mit den Verantwortlichen in der Region wie auch in bundesweiten Zusammenhängen gelegt. Bedanken möchte ich mich ausdrücklich dafür, dass von mir eingebrachte Ideen und Impulse gehört und stellenweise auch berücksichtigt wurden, um die gemeinsame Arbeit zu bereichern.

Neben dem rechtlich-wirtschaftlichen Tagesgeschäft in der Geschäftsstelle lag mein Schwerpunkt (im Zuge der Fachkraftgewinnung) zuletzt auf der Vernetzung unserer Gemeinschaft mit anderen anthroposophischen Verbänden, dem paritätischen Wohlfahrtsverband und auch auf landespolitischer Ebene.

 

Können Sie bereits Arbeitsschwerpunkte benennen?

Nach einer kurzen Einarbeitung durch Oliver Langscheid ging es zunächst primär darum, die Komplexität der Aufgabe zu erfassen und gleichzeitig den laufenden Betrieb aufrechtzuerhalten.

Hier habe ich große Unterstützung durch meine Kollegin Sabine Cebulla-Holzki, den Vorstand, die Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle und alle anderen für die Vereinigung tätigen Menschen erfahren. Für diese maßgebliche Hilfestellung möchte ich mich ausdrücklich bedanken.

Neben dem rechtlich-wirtschaftlichen Tagesgeschäft ging es zunächst darum, viele neue Menschen kennenzulernen, die bisherigen Strukturen und Arbeitsweisen zu verstehen und handlungsfähig zu werden. Auch die Arbeit nach „außen“ zu befreundeten Verbänden, Kooperations- und Geschäftspartnern war maßgeblicher Bestandteil der Arbeit.

In enger Abstimmung mit Sabine Cebulla-Holzki und dem Vorstand entwickeln wir bereits Ideen, um unsere Gemeinschaft zu stärken. Besondere Schwerpunkte sind aktuell unter anderem die Fachkraftgewinnung, Vernetzungsarbeit, Sanierungsprojekte sowie die finale Umsetzung und Implementierung der aus dem Organisationsentwicklungsprozess definierten Form der Zusammenarbeit.
 

Wie geht es Ihnen jetzt, nach einem guten halben Jahr auf Bundesebene in der Vereinigung der Waldorfkindergärten?

Ob der Vielzahl der Aufgaben und der Komplexität der Zusammenhänge war das vergangene halbe Jahr recht herausfordernd. Gleichzeitig fühlt sich die neue Aufgabe „richtig“ an; die hervorragende und vertrauensvolle Zusammenarbeit auf Geschäftsleitungsebene sowie das kollegiale und harmonische Miteinander gegenüber Vorstand, Geschäftsstelle, Referenten und vielen weiteren Mitarbeitenden wirken sehr unterstützend und ermöglichen ein wertschätzendes und produktives Arbeitsumfeld.
 

Was war die größte Überraschung oder Herausforderung?

Die größte Überraschung war der nahezu nahtlose Übergang in das neue Aufgabenfeld, die größte Herausforderung war zu Beginn die doch erhebliche Reisetätigkeit, an die ich mich aber zwischenzeitlich gewöhnen konnte.

 

Was wünschen Sie sich von der Gemeinschaft für Ihre Arbeit?

Ich erlebe eine große Offenheit und großes Wohlwollen von der Gemeinschaft innerhalb unserer Bewegung, ich habe wertvolle Impulse zu den Themen der kollegialen Zusammenarbeit, der Selbstverwaltung, der sozialen Dreigliederung und ganz allgemein zur Sozialgestalt des Waldorfkindergartens erhalten und verinnerlicht.

Ich wünsche mir, dass wir als Gemeinschaft diesen Weg auch in Zukunft gemeinsam weitergehen.

 

Was wünschen Sie für die Zukunft der Vereinigung?

Mein Herzensthema ist die freiheitliche Erziehung des Kindes und der Schutz der Kindheit im Allgemeinen.

In Zeiten ständiger Krisen und immer enger werdender Meinungskorridore sehe ich unsere Pädagogik als Leuchtfeuer in aufziehender Dunkelheit. Ich wünsche uns den Mut, unsere Werte auch künftig nach außen zu vertreten und eine Anlaufstelle für Menschen zu sein, die nach freiheitlichem Denken und Spiritualität suchen.

Dafür werde Ich mich auch weiterhin mit Herz und Verstand in unserer Gemeinschaft engagieren und hoffe, dies gemeinsam mit Ihnen in gewohnt vertrauensvoller und freundschaftlicher Weise tun zu können.

 

Zentrale Ergebnisse der Trialog-Evaluation

Professionalisierungsprozesse in Waldorfkindergärten. Bildungsdokumentation anhand des Verfahrens „Trialog“

Ein mehr als dreijähriger Forschungsprozess neigt sich dem Ende zu: Am 17. 11. 2023 wurden im Rahmen der Mitgliederversammlung der Vereinigung der Waldorfkindergärten zentrale Ergebnisse des Trialog Evaluationsverfahrens vorgestellt.

Drei Grundfragen standen ab März 2020 im Fokus des Projektes:
 

  1. Wie ist Bildungsdokumentation in Waldorfkindergärten aufgestellt? (Schaffung von Transparenz)

  2. Wie gelingt die praktische Umsetzung des Instrumentes im Alltag? (Evaluation des Verfahrens)

  3. Welche Effekte kann die regelmäßige Anwendung des Instrumentes auf den Ausbau von individuellen Ressourcen haben? (Untersuchung des Professionalisierungsprozesses)

19 Kindergärten aus allen Bundesländern haben sich nach einem Aufruf im Frühjahr 2020 gemeldet, um als Piloteinrichtungen an dem Projekt mitzuwirken, welches durch die Vereinigung der Waldorfkindergärten, die Software-AG-Stiftung, der Mahle Stiftung, der Waldorf Stiftung und der Helmut von Kügelgen Stiftung finanziert und durch Prof. Dr. Stefanie Greubel und Cornelia Jachmann von der Alanus-Hochschule für Kunst und Gesellschaft wissenschaftlich verantwortet und durchgeführt wurde.

Mitten im ersten Corona-Jahr machten sich die Mitglieder der Einrichtungen auf den Weg, um sich in ihrem Team intensiv mit dem Instrument auseinanderzusetzen und es in der Praxis zu erproben. Begleitet wurden sie durch das Evaluationsteam Greubel und Jachmann, die in regelmäßigen Abständen mit den Teams in Kontakt standen und sie zu mehreren Zeitpunkten im Erhebungsverfahren anhand von Online-Fragebögen und in Gruppendiskussionen zu ihren Erfahrungen, Einstellungen und ihrer Selbsteinschätzung hinsichtlich ihrer Kompetenzen befragten. Flankierend zu den Piloteinrichtungen wurden die Vertreter:innen der Regionen, Eltern aus Waldorfkindergärten und die Gesamtheit der pädagogischen Mitarbeitenden von Waldorfkindergärten in Deutschland befragt. Das Evaluationsdesign basiert auf einem wissenschaftlichen Verständnis der Prozessorientierung zur Erzeugung von Handlungswissen und zur Unterstützung der pädagogischen Praxis und bedient sich eines Mixed Methods Designs, welches unterschiedliche Erhebungsinstrumente kombiniert. Zur wissenschaftlichen Unterstützung und Beratung wurde ein wissenschaftlicher Beirat mit professoralen Mitgliedern aus Hochschulen unterschiedlicher Bundesländer eingesetzt. Als zentrale Ergebnisse können festgehalten werden:
 

  1. Die befragten Kolleg:innen der Piloteinrichtungen zeichnen sich durch eine hohe Anstrengungsbereitschaft und einen hohen Team- Zusammenhalt sowie ein gemeinsames Verständnis über Pädagogik aus. Sie sind jedoch auch mit einem hohen Stress-Level konfrontiert und erleben sich (bestätigend auch im weiteren Erhebungsprozess) als sehr belastet und teils überfordert mit der Vielfalt ihrer Aufgaben.
    Ihnen sind sowohl die regelmäßige Beobachtung und Dokumentation als auch die Reflexion über Entwicklungsprozesse der Kinder wichtig. Vor Nutzung des Trialog-Verfahrens bezogen sich die Pädagog:innen zu großen Teilen auf eigene Dokumentationsverfahren sowie auf das Vorläufermodell des Trialogs: „Dialog“.

  2. Trotz hohen Engagements der Kolleg:innen aus den Piloteinrichtungen und den regelmäßigen Treffen des Austauschs unter den Einrichtungen verlief der Prozess der Einführung des Instrumentes eher schleppend. Die Kolleg:innen vor Ort klagten vor allem über zu wenig Zeit im Alltag, über andere neu hinzu gekommene Prioritäten, die den Fokus verlagerten, über eine persönliche Überlastung und die Umstände der Corona-Pandemie. Aber auch Unklarheiten in der Anwendung des Trialogs wurden genannt. Demgegenüber stand die eigene intrinsische Motivation, durch die Anwendung des Trialoges mehr über die Kinder zu erfahren und die individuelle Professionalität zu stärken.
    Nach zwei Jahren Erprobungszeit reduzierte sich die Untersuchungsgruppe, die zur Befragung zur Verfügung stand, um etwa die Hälfte. Die hohe Mobilitätsrate in diesem Feld sowie die hohe Arbeitsbelastung sind als Gründe für die Verkleinerung der Stichprobe zu nennen. Aber auch diejenigen, die sich über den Untersuchungszeitraum intensiv mit Trialog beschäftigt haben, bezeugen mit einer großen Mehrheit eine hohe Bereicherung durch die Anwendung für den pädagogischen Alltag. Vorteile werden von dieser Gruppe vor allem gesehen in

  • der Ermöglichung gezielten Beobachtens,

  • der Klarheit über ein Vorgehen, Rückgriff auf ein Verfahren,

  • der Vorbereitung und Durchführung von Elterngesprächen,

  • der Zusammenarbeit mit den Eltern,

  • der Übergangsgestaltung.

    Aber auch diejenigen, die bis zum Schluss des Untersuchungszeitraumes noch nicht gänzlich vertraut mit dem Verfahren sind, sehen Vorteile in

  • dem wertschätzenden Blick auf das Kind,

  • der Reflexion des eigenen pädagogischen Handelns,

  • der Beschäftigung mit der Kindperspektive.

    Herausforderungen sehen beide Gruppen in der Vereinbarkeit mit zeitlichen Ressourcen.
    Gesamtüberblickend lassen sich nur geringe Veränderungsbedarfe hinsichtlich des Instrumentes selbst, vor allem aber in der Gestaltung der Rahmenbedingungen identifizieren. So ist die Fokussierung sowohl auf eine ausführliche (auch prozessbegleitende) Instruktion des Trialogs als auch auf das Schaffen von entlastenden Arbeitsbedingungen zu raten. Die Rückmeldungen im offenen Fazit stammen von einer überwältigenden Mehrheit an positiven Aussagen über die Qualität des Verfahrens: Von 45 abschließenden Kommentaren äußerten sich 27 positiv, 14 neutral (positive Sicht auf Trialog, aber kritischer Blick auf nötige Zeitressourcen) und vier negativ.

3.   Eine kleine Gruppe von Kolleg:innen konnte durchgehend vom ersten bis zum letzten Erhebungszeitpunkt und besonders hinsichtlich der Einschätzung des eigenen Professionalisierungsprozesses befragt werden. Diejenigen, die sich intensiv in das Verfahren einarbeiten konnten, schätzen sich zum letzten Erhebungszeitpunkt statistisch bedeutsam kompetenter hinsichtlich des Kompetenzbereiches „Wissen im Bereich pädagogischer Fähigkeiten“ ein. Dazu gehörten Einschätzungen zu Kenntnissen

  • über Methoden der Zusammenarbeit mit Familien,

  • von Theorien der Kommunikation und Geschäftsführung,

  • über Beobachtungs- und Dokumentationsverfahren,

  • über Förderungsmöglichkeiten elterlicher Erziehungskompetenzen,

  • über rechtliche Rahmenbedingungen.

    Außerdem unterschied sich die Gruppe der „Trialog-Vertrauten“ im letzten Erhebungszeitraum in diesen wie auch in allen anderen abgefragten Kompetenzbereichen (Empathiefähigkeit, Teamqualität, Selbstreflexion, forschende Haltung, Partizipation, Erkennen von Konsequenzen, Analyse von pädagogischen Situationen und Kommunikation) durch höhere Zustimmungswerte von der Gruppe derjenigen, die noch nicht gänzlich vertraut mit dem Instrument waren. Statistisch bedeutsam zeigt sich dieser Unterschied sowohl in der Selbsteinschätzung der Kompetenzen „Wissen im Bereich pädagogischer Fähigkeiten“, „forschende Haltung“ und „Partizipation von Akteuren im Beobachtungs- und Dokumentationsprozess“ als auch im Gesamtwert aller abgefragten Kompetenzbereiche.

    Es zeigt sich durch diese Berechnungen in dieser kleineren Stichprobe ein Effekt in der Selbstwahrnehmung eigener Kompetenzen. Nach vorliegender Datenlage gibt es einen Zusammenhang zwischen der intensiven Beschäftigung und Anwendung von Trialog mit dem eigenen Verständnis des Professionalisierungsprozesses.

Zusammenfassend kann Trialog als ein Instrument zur Beobachtung und Dokumentation betrachtet werden, welches an seine Anwender:innen hohe Erwartungen stellt, zu Selbstreflexionsprozessen anregt und die Zusammenarbeit mit Eltern sowie den Blick auf das Kind bereichern kann. Es braucht jedoch eine sehr gute und idealerweise prozessbegleitende Instruktion und Rahmenbedingungen, die für Beobachtung und Dokumentation mehr Zeit vorsehen.

Der Dank des Evaluationsteams gilt allen beteiligten Piloteinrichtungen, die sich trotz der unberechenbaren Corona-Situation auf das Projekt sehr engagiert eingelassen haben! Dazu gehören die Mitarbeitenden der Einrichtungen Waldorf-Naturkindergarten Vogtsbug-Burkheim, Waldorfkindergarten und Wiegestube Philippsburg-Rheinsheim, Kinderkrippe der Freien Waldorfschule Schwäbisch Hall, Waldorfkindergarten Bad Endorf, Waldorfkinderhaus Tutzing, Waldorfkindergarten Berlin-Kreuzberg, Waldorfkindergarten „Zaubernuss“ Schildow, Kindergarten der Freien Waldorfschule Werder, Waldorfkindergarten „am Hochwald“ Kleinmachnow, Waldorfkindergarten Bremen, Waldorfkindergarten Witzenhausen, Waldorfkindergarten Seewalde Wustrow, Waldorfkindergarten „Hof Medewege“ Schwerin, Waldorfkindergarten Aurich, Waldorfkindergarten „Pusteblume“ Grafschaft, Waldorfkindergarten Bexbach, Waldorfkindergarten Radebeul, Waldorfkindergarten „Bodekiesel“ Thale und Waldorfkindergarten Norderstedt.

Das Projektteam wurde in allen Einrichtungen entweder virtuell oder teils auch persönlich sehr herzlich empfangen und es ergaben sich wundervolle Gespräche und daraus entstehende bereichernde Kontakte. Wir schätzen den Einsatz und würdigen die viele Arbeitszeit, die in die Beantwortung der Fragebogen geflossen ist!

Stefanie Greubel

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Partizipation im Waldorfkindergarten

Partizipation im Waldorfkindergarten Fragen an Anita Sonntag

 

Partizipation – das Recht auf Beteiligung und Mitbestimmung – wird als zentrales Element der pädagogischen Arbeit angesehen und die entsprechende Umsetzung in der Praxis ist gesetzlich gefordert. Wie stehen die Waldorfkindergärten Ihrer Meinung nach zu diesem Thema?

Die Kindertageseinrichtungen behandeln das Thema sehr unterschiedlich. Es gibt Einrichtungen, die dem Thema Partizipation sehr offen gegenüberstehen und den Kindergarten auch als Stube der Demokratie verstehen. Sie lassen großen Entscheidungsspielraum für Kinder, Eltern und im Kollegium zu, achten und informieren die Akteure aktiv über ihre Beteiligungsmöglichkeiten, haben feinfühlige Wahrnehmungsstrukturen entwickelt, um Wünsche und Bedürfnisse der Kinder und Eltern gut ablesen und adäquat darauf reagieren zu können. Ich begegne auch Waldorfkindergärten, bei denen in den Konzeptionen die partizipative Haltung betont bzw. ausdrücklich bejaht wird, jedoch meistens offenbleibt, wann genau oder in welcher Form Teilhabe oder Beteiligung tatsächlich ermöglicht oder gelebt wird. Es gibt aber auch Einrichtungen, die eine aktive Beteiligung der Kinder und Eltern nicht unterstützen bzw. Partizipation gar ablehnen. Beim Nachfragen, warum man sich mit der Partizipation so schwertut, heißt es oft: „Die Kinder tanzen uns sonst oft auf der Nase herum“, „Wir sind lieber für die Kinder da und haben keine Zeit für sowas!“, „Wir wissen es am besten, was Kinder brauchen“ oder „Wir überfordern Kinder intellektuell damit!“


Was denken Sie, wie kommen diese unterschiedlichen Haltungen zustande?

Zum einen arbeiten hier Menschen mit unterschiedlichen biografischen Prägungen und Erfahrungen. Wenn ich selbst erlebt habe, dass meine Meinung wichtig ist und bei Entscheidungen, die mich oder mein Umfeld betreffen, ernstgenommen wurde, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich diese partizipative Haltung behalte bzw. diese auch entsprechend weitergebe, recht hoch. Zum anderen haben nicht alle Erzieher:innen Partizipation in ihrer Ausbildung als Unterrichtsfach gehabt. Vor ein paar Jahren gab es, wenn überhaupt, nur wenige Ausbildungsstätten, die das Thema in ihren Curricula verankert hatten. Das ändert sich zum Glück gerade, aber es ist noch viel nachzuholen.

 

Wie kann man einer ablehnenden Haltung begegnen?

Dazu muss man zunächst verstehen, dass Ablehnung oft mit Ängsten oder Missverständnissen zu tun hat. Beide Faktoren hindern daran, sich dem Thema vollumfänglich zu öffnen. Da hilft es, im Kollegium miteinander ins Gespräch zu kommen: Was ist überhaupt Partizipation? Was verstehst du unter dem Begriff? Was verstehe ich darunter? Wie könnte es auf der Ebene der Kinder, auf der Ebene der Eltern und auf der Ebene des Teams aussehen? Was heißt Partizipation bei den Kindern? Was bei den Eltern oder im Kollegium? Was fürchte ich konkret, wenn ich mich dem Thema öffne? Was ist schlimm daran, wenn ein Kind selbst bestimmt, von wem es gewickelt werden oder was es essen möchte? Was stört mich daran? Welche möglichen Verluste meiner Autorität ängstigen mich? Auch erscheint es hilfreich, wenn man die eigene Ablehnung und deren Gründe für sich gut untersucht. Was sind die Gründe für meine Ablehnung? Was macht mir Angst? Was würde passieren, wenn ich mich der Sache oder Situation stelle? Partizipation braucht also Dialog und Aushandlungsprozesse mit meinem Gegenüber. Ich gebe von meiner Macht etwas ab, um Freiraum für andere zu schaffen. Dieses Aushandeln und Abgeben von Privilegien macht vielen Menschen Angst. Wenn ich diese inneren Prozesse verstanden habe, kann ich darauf reagieren und versuchen, durch Gespräche und gute Beispiele eine Haltungsänderung einzuleiten.

 

Braucht Partizipation Methoden?

Partizipation ist keine Frage eines pädagogischen Ansatzes oder einer Methode, sondern ein Recht jedes Menschen, und zwar von Geburt an. Sie ist eine Haltung und keine Methode, die man mal eben schnell erlernt und dann gleich anwenden kann. Hier wird die Verantwortung der Ausbildungsstätten, aber auch die Wichtigkeit der Fachgespräche im Team sehr deutlich. In der Ausbildung oder in den Konferenzen werden persönliche Meinungen, Erfahrungen reflektiert, gemeinsam ausdiskutiert, es wird argumentiert und somit eine professionelle pädagogische Haltung entwickelt.

 

Was braucht man, um sich eine partizipative Haltung anzueignen?

Zunächst braucht man ein solides Hintergrundwissen über die Rechte und die Beteiligungsmöglichkeiten der Kinder. Wobei sich das theoretisches Wissen anzueignen nicht das schwierigste an diesem Prozess ist. Deutlich anspruchsvoller ist die Arbeit an der eigenen  Haltung. Ich muss nämlich verinnerlichen, dass die Ermöglichung von Teilhabe und Beteiligung der Kinder an Prozessen, die sie selbst betreffen, kein Zugeständnis der Erwachsenen ist, sondern das Recht des Kindes. Ich brauche zahlreiche Gespräche und Diskussionen, sowohl im Team als auch mit den Kindern und auch mit den Eltern. Ich muss möglicherweise bestehende Regelwerke aufbrechen und neue erarbeiten. Das bedeutet, dass ich diese alten und vielleicht lieb gewonnenen Traditionen aufgeben oder zumindest stark hinterfragen muss. Bei einer sehr auf Traditionen beruhenden Pädagogik wie der Waldorfpädagogik ist das alles andere als leicht. Aber solange wir die gute Qualität einer Waldorfkindergartengruppe an leisen Gruppen und braven Kindern messen oder jegliche Befragung der Kinder durch Erwachsene als Intellektualisierung bewerten, wird es mit der Partizipation noch ein langer Weg werden.

 

Wo sind die Grenzen der Partizipation?

Die Grenze ist ganz klar dann zu ziehen, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist. Innerhalb dessen gibt es aber noch sehr viel Spielraum. Kinder dürfen und müssen, um eigene Erfahrungen sammeln zu können, Fehler machen. Der Entwicklungsstand eines Kindes ist kein Ausschlusskriterium, sondern verlangt einen individuellen Blick auf das Kind. Im Team sollte ausdiskutiert – und dann später mit den Eltern genau besprochen – werden, welche Grenzen es im Kindergarten gibt. Die Beziehung zwischen Erwachsenen und Kind ist von Natur aus ungleich. Der Erwachsene trägt die Verantwortung für ein Kind zu jeder Zeit, das Kind aber niemals für den Erwachsenen. Da sich aus dieser Ungleichheit eine größere Entscheidungsmacht für den Erwachsenen ergibt, ist es wichtig abzuwägen, wo ich die Grenzen ziehe, ohne aber zu sehr die Rechte des Kindes zu beschneiden. Darf ein Kind im Winter auch ohne die lästige Matschhose rausgehen oder fürchte ich gleich eine Erkältung und damit die Beeinträchtigung des Kindes? Kinder brauchen klare Regeln damit sie wissen, wo die Grenzen sind und wozu es zwar angehört werden, aber nicht selbst entscheiden darf. Dazu gehört zum Beispiel, dass ein Kind bei Sonnenschein geschützt werden muss und darüber auch nicht diskutiert wird. Oder dass es niemanden wehtun oder ihn verletzen und dass es das Kindergartengebäude nicht ohne Erwachsene verlassen darf.  

 

Bei anderen Kitas gibt es Kinderparlamente oder Kinderrat. Was halten Sie davon?

Ich kann es gut nachvollziehen, dass Pädagog:innen gerne brauchbare Formate hätten, wodurch die Meinungen und Bedürfnisse der Kinder sichtbar und messbar gemacht werden können. Ich zweifele jedoch daran, ob diese – von Erwachsenen ausgedachten und sicherlich gut gemeinten – Partizipationsmethoden wie Kinderparlamente oder Kinderrat wirklich das erfassen, was man damit bezwecken möchte. Meine Beobachtungen in der Praxis bestätigen diese Annahme, denn bei diesen Formaten müssen Kinder oft animiert oder aufgefordert, manchmal sogar bedrängt werden, ihre Meinung kundzutun. Tun sie es nicht, wird oft weitergebohrt, bis sich das Kind zu irgendetwas entschieden hat. Denn die Zeit im Stuhlkreis ist begrenzt, und um wirklich gerecht zu sein, müssen alle Kinder angehört werden. So baut sich sowohl unter den Kindern als auch unter den Erziehenden Druck auf und das Eigentliche gerät in den Hintergrund. Schnell geht es nur noch darum, das Ganze hinter sich zu bringen, damit der in den Konzeptionen beschriebene Partizipationsanspruch erfüllt wird. Natürlich gibt es Kinder, die ihre Meinung und Wünsche gerne und auch sehr deutlich in solchen Kreisen äußern können. Sie äußern sich in der Regel aber auch ohne Kinderparlament. Und die Kinder, die es schwer haben, ihre Meinung kundzutun, machen dies auch nach einer Aufforderung nicht unbedingt. Sie gehen in Rückzug oder schließen sich den Meinungen der anderen Kindern an. Hier liegt meiner Meinung nach ein Missverständnis vor: Selbstbestimmung und Mitbestimmung sind ein Recht jedes Kindes, aber keine Pflicht. Ich bin nicht gegen Abstimmung oder Befragen von Kindern. Ganz im Gegenteil. Die Antworten oder Vorschläge der Kinder überraschen  oft und sie eröffnen manchmal ganz neue Dimensionen für die Arbeit oder bringen neue Erkenntnisse. Das sollte aber differenziert, dialogisch und respektvoll erfolgen. Ich muss das Alter, Sprachfähigkeit, Ausdrucksweise, Charakter, soziokulturellen Hintergrund usw. des Kindes im Blick haben. Sprich: ich muss das Kind sehr gut kennen, um hinhören und wahrnehmen zu können, was es braucht oder was es mir mitteilen möchte.

 

Welche Möglichkeiten bietet Ihrer Meinung nach unsere Pädagogik in Bezug auf die Partizipation?

Wir haben in der Waldorfpädagogik jede Menge Möglichkeiten. An guten Elementen mangelt es uns nicht. Wir müssen uns lediglich auf unsere Grundwerte und unser Menschenbild besinnen und endlich anfangen, diese nicht nur Mantra-mäßig zu wiederholen, sondern diese auch zu verstehen und umzusetzen. Blättern Sie in den wunderbaren Oxford-Vorträgen von Rudolf Steiner1 zum Thema Ehrfurcht, Liebe und Freiheit oder Individuelle Freiheit und soziales Vertrauen2. Wo auch immer Sie diese aufschlagen, werden Sie genug Anregungen finden. Steiner serviert uns die Theorie. Aber in der Praxis tun wir uns schwer, diese umzusetzen. Wir betonen zwar immer, dass das Kind ein einzigartiges Individuum ist, mit einem eigenen Lebensbauplan, den es konsequent verfolgt und umsetzen möchte. Allein dieses Menschenbild strotzt vor Gedanken der Selbstbestimmung. In der Praxis aber lassen wir kaum individuelle Selbstbeteiligungswünsche oder Vorschläge der Kinder zu. Wenn wir es schaffen, unseren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, werden wir ganz selbstverständlich die richtige Haltung annehmen und ohne Probleme Partizipation im Alltag umsetzen und auf die Rechte der Kinder eingehen.

Vielen Dank an Frau Sonntag! Birgit Krohmer


Vita: Anita Sonntag, Waldorferzieherin, langjährige Kindergartenleitung, Dozentin am Seminar für Waldorfpädagogik Köln, Studium der Kindheitspädagogik B.A. und Studium der Pädagogik M.A., seit 2015 Lehrbeauftragte der Alanus Hochschule, seit 2020 Fachberaterin für Trägerfragen in NRW

1 Rudolf Steiner: Die pädagogische Praxis vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Menschenerkenntnis. Die Erziehung des Kindes und jüngeren Menschen. Acht Vorträge, gehalten in Dornach von 15. bis 22. April 1923, GA 306

2 Rudolf Steiner: Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst. Spirituelle Werte in Erziehung und sozialem Leben. Zwölf Vorträge, gehalten in Oxford vom 16. Bis 29. August 1922, GA 305

 


 

Nachruf Elisabeth Moore-Haas (7.2.1943 - 13.10.2023)

Bildlegende:

Erste Internationale nordamerikanische Waldorfkindergartenkonferenz 1989 in High Mowing School, New Hampshire, USA
Letzte Reihe: Johanna-Veronika Picht (Stuttgart) , Monique Grund (San Francisco Waldorf School), Janet Kellman (Rudolf Steiner College, Sacramento, California), Susan Howard (Sunbridge College, Spring Valley, NY), Freya Jaffke (Stuttgart), Marjorie Thatcher (Vancouver Waldorf School, BC, Canada)
Mittlere Reihe:Charlotte Dukitch (Los Angeles, CA), Werner Glas (Sunbridge College, NY), Elisabeth Moore-Haas, Helmut von Küglegen, Joan Almon (Acorn Hill Waldorf Kindergarten, Maryland), Bronja Zahlingen (Vienna, AU), Margret Meyerkort (Stroud, UK), Ann Pratt (Antioch College, New Hampshire), Patricia Livingston (Pedagogical Section Council in America)
Vordere Reihe: Alice Stamm (eurythmist, California), Nancy Foster (Acorn Hill Waldorf Kindergarten, Maryland) and Carolyn Hodnett (Acorn Hil Waldorf Kindergarten, Maryland)

 

 

Pionierin der Rudolf-Steiner-Kindergartenpädagogik in der Schweiz

Ein Nachruf von Jacqueline Walter-Baumgartner

Grosse Dankbarkeit erfüllt mich als ehemalige Seminaristin (1981–1983) und spätere Kollegin am Rudolf Steiner Kindergartenseminar Bern, wenn ich auf das Wirken und die stets empathische, tatkräftige und unermüdliche Unterstützung von Elisabeth zurückschaue. Nicht nur ihre besondere Gabe, das Wesen des kleinen Kindes zu verstehen, hat uns mit ihr Verbundene inspiriert und in unseren pädagogischen Aufgaben mit den uns anvertrauten Kindern und Elternhäuser innerlich wachsen lassen, sondern auch ihr Humor sowie ihre tiefe Liebe im Dienst an den Kindern, welche die Richtschnur waren, besonders in herausfordernden Situationen.

Viele Jahre durfte ich als Praxiskindergärtnerin ihre Seminarstudentinnen und Studenten in der Praxis begleiten und dadurch eine enge kollegiale und fruchtbare Zusammenarbeit erleben. Dadurch habe ich persönlich eine Art zusätzliche Ausbildung durchlaufen.

Nach Elisabeths Diplomierung als Eurythmistin und Heileurythmistin hat sie zudem jahrelang unter anderem im Rudolf-Steiner-Kindergarten Rheinfelden, wo ich seit 40 Jahren als Kindergärtnerin tätig bin, eurythmisch mit Kindern und Eltern gearbeitet. Ich wurde in zahlreichen Situationen Zeugin ihrer Fähigkeit, mit der Eurythmie gesundend und heilend zu wirken.

Ihr grösster Verdienst für unsere Schweizer Rudolf Steiner Kindergartenbewegung ist in meinen Augen ihr unermüdlicher Einsatz in der Aus- und Weiterbildung und der Begleitung der Praxiskindergärten. Durch ihre zahlreichen Kurs- und Vortragstätigkeiten und aufgrund der Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen in vielen Ländern der ganzen Welt bekam ihr Wirken für das kleine Kind die Dimension der tiefen allgemeinen Menschlichkeit. Sie suchte diese Kräfte in der Verbundenheit mit dem Christusimpuls der heutigen Zeit. Außerdem war ihr die kollegiale Zusammenarbeit ein großes Anliegen, sowohl in der Schweizer Kindergarten-Bewegung als auch als Ländervertreterin der Schweiz in der Internationalen Vereinigung der Waldorfkindergärten e.V. Als Nachfolgerin in dieser Aufgabe (heute IASWECE) durfte ich auch diesbezüglich viel von ihr lernen. Ihr Einsatz für das kollegiale Anliegen mit verschiedenen Gremien führte sie bis an die Grenzen ihrer Gesundheit, ja sie stellte sie immer unter das gemeinsame Ringen. Tief verbunden war sie mit der anthroposophischen Zweigarbeit des Johannes-Zweiges in Bern.

Zudem war sie äußerst couragiert und setzte sich auch bildungspolitisch an Kongressen zum Wohl und Schutz des Kindes ein. Oft stand sie kämpferisch bei Tagungen gegen die Verschulung und Intellektualisierung des Kindergartens öffentlich auf und versorgte die Teilnehmenden mit fundierten Studien auf eigene Kosten. In dem Zusammenhang hat sie unermüdlich mit staatlichen Kindergärtnerinnen und Kindergärtnern zusammengearbeitet und auch dort Mitstreiter und Mitstreiterinnen gefunden.

Besonders verbunden fühlte sie sich den Ländern Hawaii und Australien. Dazu hat sie folgendes niedergeschrieben:

Wo der Regenbogen beginnt

«Die Kultur der australischen Ureinwohner führt in die Traumzeit zurück, in der die Menschen sich auf Traumpfaden bewegten, die an den «Songlines», den ihnen aus ihrer landschaftlichen Umgebung entgegenklingenden Melodien entlangführten. Bei der Geburt eines Kindes hörte die Mutter innerlich eine Melodie, die sie hinführte zu den Hügeln, Bächen und Felsen, die von nun an als das Schutzgebiet des neuen Erdenbürgers galten. Erschaffen wurden alle diese Wesen und Dinge von der Regenbogenschlange.

Viele Überlieferungen zeugen von der Traumzeit. Es werden dynamisch-rhythmische Geschichten verschiedener Tierarten getanzt, wobei sich die Darbietenden gleichsam in die entsprechenden Tiere verwandeln, die sie aber nicht naturalistisch, sondern wesenhaft künstlerisch-urbildhaft vor die Augen der Zuschauer zaubern. Die Aborigines bezeichnen diese die Eigenart und Qualität der Tiere enthüllenden tänzerischen Bewegungen und Rhythmen als Träume aus der Traumzeit.

Da, wo der Regenbogen beginnt, tanzen die Elfen, heißt es auch in Geschichten und Sagen Mitteleuropas. Und da befindet sich das Paradies. Das Paradies bezeichnet einen frühen Bewusstseinszustand der Menschheit, die Zeit der Sagen und Mythen, die Traumzeit des Menschen.

Jedes Kind durchläuft in seiner individuellen Entwicklung die verschiedenen Stadien des Bewusstseins – von demjenigen der Urmenschheit an bis zum hellwachen Gegenstandsbewusstseins unserer Zeit. Und wie man die Knospe einer Blüte nicht vorzeitig aufreißen soll, damit sie sich zur vollen Schönheit gesund entfalten kann, wenn ihre Zeit reif ist, so braucht das Kind im ersten Jahrsiebt den notwendigen Schutz vor verfrühter Intellektualität, vor verstandesmäßigen Erklärungen und vor verfrühtem schulischen Lernen: Dann kann das Kind sein mythisches Bewusstsein, seine Traumzeit richtig leben, so dass es im richtigen Zeitpunkt zu der «in unserer Zeit notwendigen Intellektualität» (Rudolf Steiner) voll erwachen kann.»

Als Motto für den Flyer des Rudolf-Steiner-Kindergartenseminars Bern wählte sie folgende Worte von Rudolf Steiner aus dem Vortragszyklus der Pädagogischen Praxis: «Jede Erziehung ist Selbsterziehung und wir sind eigentlich als Lehrer und Erzieher nur die Umgebung des sich selbst erziehenden Kindes.»

Ich danke Elisabeth für Ihr Wirken als Pionierin der Rudolf Steiner Kindergartenpädagogik in der Schweiz im Namen unserer Bewegung und zahlreicher Kolleginnen und Kollegen, die mit ihr verbunden sind.

Möge Elisabeth nun von der geistigen Welt aus unser Tun wohlwollend begleiten.

 

Jacqueline Walter-Baumgartner
Rheinfelden, 12. November 2023

 

 

Herbstfachtagung Stuttgart

Auf unserer diesjährigen Herbstfachtagung durften wir mit unseren 150 Teilnehmer:innen eine wunderbare Atmosphäre und Gemeinschaft erleben. Auftakt war der inspirierende und sehr praxisnahe Vortrag über „Den Mut in Zeiten der Gefahren finden“ von Dr. Straube. Im Anschluss gab es ein breit gefächertes Angebot von künstlerischen Kursen und Seminaren. Die Pausen wurden zum intensiven Austausch und zum Besuch des Buchcafés der Buchhandlung Vividus genutzt. Norbert Papp aus Ungarn zeigte uns ein faszinierendes Gastspiel aus Sand. Ruhig, fließend und begleitet von klassischer Musik entstanden lebendige Sandbilder zu ausgewählten Märchen. Johannes Greiner rundete unsere Tagung mit einem mitreißenden Vortrag ab – Titel: „Wenn wir Bilder mitteilen, können die Engel mitdenken“. Mit dieser Fachtagung konnten wir hoffentlich allen Teilnehmer:innen viele neue Impulse für den Alltag mitgeben. Es war schön, die lebhaften Begegnungen und den gegenseitigen Austausch an beiden Tagen miterleben zu dürfen. Wir freuen uns auf die nächste Herbstfachtagung am 25. & 26.10.2024.
 

 

Buchbesprechung

Es wird schwierig,
wenn Eingewöhnungsmodelle
zu starr angewandt
und insbesondere,
wenn sie falsch verstanden werden.

Lea Wedewardt: Ankommen dürfen statt loslassen müssen“.
Bedürfnisorientierte Eingewöhnung in Kita, Krippe und Pflege. Herder 2023.

In diesem sprachlich sehr feinen und optisch gut strukturierten Buch werden Themen rund um die Eingewöhnung gründlich bearbeitet. Einige Überschriften als Beispiele:

  • Ankommen dürfen und Sicherheit finden

  • Bedürfnisorientierte Eingewöhnung oder eine Beziehung gestalten

  • Verantwortung tragen für die Beziehungsqualität

  • Wenn Eingewöhnungsmodelle zum Hindernis werden

In Exkursen werden wichtige Themen bearbeitet, etwa:

  • Bindung oder Beziehung?

  • Der Unterschied zwischen Empathie und Mitgefühl

Anhand anschaulicher Praxisbeispiele, schön gestalteter Grafiken oder Gegenüberstellungen von Begriffen wird zur eigenen Arbeit angeregt.

Mich berührte die Unterscheidung von Abschied und Trennung, hier ein Textbeispiel:

Abschied statt Trennung
„Denkt man das Wort ‚Trennung‘, ist damit eine Handlung verknüpft, die das Kind passiv erlebt. Findet jedoch ein ‚Abschied‘ statt, ist das etwas, das in Beziehung geschieht, durch zwei Subjekte in Gegenseitigkeit. Das Kind und die Begleitperson werden dabei als Teil der Beziehung gesehen und nicht als Objekt, das einer Trennung ausgeliefert ist. Hinzu kommt, dass Bindungsbeziehungen wie ein imaginäres Band verstanden werden, das über Zeit und Raum fortbestehen kann. (Vergl. Grossmann und Grossmann 2012/2021). Folglich sind die Begleitpersonen und das Kind nie voneinander ‚getrennt‘, sie sind innerlich immer noch verbunden. Sie verabschieden sich lediglich für eine gewisse Zeit in dem Vertrauen, wieder zueinanderzukommen.“

Es folgt eine ausführliche Tabelle mit Signalen des Kindes, die für oder gegen einen ersten Abschied sprechen.
Die Bedürfnisse der Begleitpersonen werden ebenfalls ernst genommen. Kindliche Zeichen für und gegen Nähe werden erläutert und klare Hinweise auch im Sinne des Schutzkonzeptes gegeben:

„Befriedigen pädagogische Fachkräfte ihr eigenes Nähebedürfnis durch die Kinder, handeln sie unprofessionell. In diesem Fall ist der Körperkontakt eine Grenzüberschreitung.“

Eingewöhnungsmodelle in historischer Folge kurz charakterisiert, beginnend mit dem Berliner- und Münchner und dem Tübinger Peergroup-Modell, der Kultur-sensiblen und bedürfnisorientierten Eingewöhnung finden Sie auf der Homepage der Autorin.

https://beduerfnisorientierte-paedagogik.de/die-eingewoehnungsmodelle-im-ueberblick

Im Vordergrund steht immer die Beziehung zum Kind, nicht die Bindung. In jeder Situation sollte es um das Wohl des Kindes, nicht um die Anwendung eines präferierten Modells gehen. Insofern kann in Konzeptionen Fixiertes überdacht und dem neueren Stand der Forschung und Praxiserfahrung angepasst werden.


Frau Wedewardt besuchte die Waldorfschule in Pforzheim. Mehr über sie erfahren Sie hier:

https://beduerfnisorientierte-paedagogik.de/ueber-mich

 

Lea Wedewardt: Ankommen dürfen statt loslassen müssen, Herder 2023, 144 S., € 18.-.


 

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