Ein at, ein caballo, ein horsy und ein Pferd.
Von Ulrike Bishop, Mai 2023
Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit in der Kinderkrippe.
Hinweis: Der Artikel ist in der Frühjahrsausgabe (01/2023) der Zeitschrift »Erziehungskunst frühe Kindheit« erschienen. Einzelne Ausgaben können Sie hier bestellen. Hefte, die älter als ein Jahr sind, stehen in unserem Archiv zum Download für Sie bereit.
Ein großes Bilderbuch liegt auf dem Teppich des Spielraumes. Vier Kinder schauen gemeinsam mit der Erzieherin die Tierbilder an. Ein zweijähriger türkischer Junge zeigt auf das Pferd und sagt: »Das ist ein at«. Ein dreijähriges peruanisches Mädchen, das zu Hause Spanisch spricht, ergänzt: »Das ist ein caballo«. Ein zweijähriges Mädchen aus den USA kommt dazu und sagt: »It‘s a horsy.« Die Erzieherin ergänzt: »Das ist ein Pferd. Wie schön, so viele verschiedene Namen gibt es für das Pferd.« Alle sind beglückt von dieser Begegnung und die Wertschätzung und Besonderheit jeder Sprache wird deutlich.
Die Kinder kommen zu uns in die Kinderkrippe zu Beginn des zweiten Lebensjahres. Wir begleiten die ersten Schritte und sind für viele Stunden täglich die Bezugsperson und das sprechende Vorbild. Immer häufiger ist es so, dass die Eltern zu Hause zwei Sprachen sprechen. In einzelnen Fällen wählen sie zur Verständigung untereinander eine dritte Sprache, zum Beispiel Englisch. Sie wünschen sich, dass ihr Kind bei uns die deutsche Sprache lernt. Ein einjähriges Kind ist umgeben von drei bis vier Sprachen. Wie kann da der Spracherwerb gelingen? Um dafür gerüstet zu sein, haben wir als gesamtes Team der Kita eine Inhouse-Fortbildung zum Thema Mehrsprachigkeit durchgeführt, um selber Sicherheit zu bekommen und die Eltern beraten zu können.
Im Alter von einem Jahr haben die meisten Kinder ein gutes Sprachverständnis, können ihre eigenen Bedürfnisse aber nur mit Gesten, Mimik und Emotionen ausdrücken. Sie verstehen, was Mutter und Vater sagen und die Eltern sehen, was ihr Kind braucht.
Wie taste ich mich behutsam an ein Kind heran, das meine Sprache nicht versteht und ohne die Eltern betreut werden soll?
Die Bezugserzieherin begegnet Mutter und Kind jeden Tag zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Die Mutter erlebt die Abläufe im Alltag und spielend findet das Kind seinen Platz. Die Mutter übersetzt und bezieht ihr Kind ein, bis sich langsam Sicherheit, Vertrauen und Geborgenheit einstellt. Hilfreich ist es, wenn die Erzieherin einzelne Worte oder kurze Sätze, die für das Kind wichtig sind, in der Muttersprache lernt, zum Beispiel: Guten Morgen. Mama kommt gleich wieder. Auf Wiedersehen …
Die Erzieherin beobachtet das Kind aufmerksam und bietet sich in einer Spielsituation an. Kleine, kurze Sätze, die langsam und deutlich gesprochen werden, begleiten das Tun und benennen die Gegenstände. Die Kinder müssen die Worte oft hören. Ich gebe dir das Auto. Hier ist der Ball. Du möchtest die Puppe haben?
Wir nehmen gerne Gesten zur Hilfe, die einfache Handlungen beschreiben. Das ist eine große Hilfe, eine Beziehungssprache zu entwickeln, wenn die Worte noch fehlen: »Wir gehen Hände waschen« und gleichzeitig reiben wir unsere Hände. Wir gehen zum Essen. Wir trinken Tee. Du bist müde und möchtest schlafen ... Die Erzieherin ist aufgerufen, sich das notwendige Vokabular zu erarbeiten. Hilfe gibt es dabei in der Babyzeichensprache. Es ist verblüffend, wie schnell kleine Kinder dann verstehen, was gemeint ist und die Gesten zur Kommunikation einsetzen.
Nach einigen Wochen kam ein zweijähriges Mädchen, das zu Hause Russisch und Griechisch spricht, oft zu mir in der Gartenzeit, rieb sich die Hände und machte mir dabei deutlich: »Ich möchte reingehen, Hände waschen und essen.« Sofort habe ich den Impuls aufgegriffen und sie hat sich verstanden gefühlt. Mit jetzt zweieinhalb Jahren kommt sie freudig morgens und sagt: »Alles gut!« Sie meistert den Alltag ohne die Mutter. Sie versteht uns und hat ein Vokabular, das sie gut im Alltag einsetzt.
Oft kommt es zu einer Vermischung der Sprachen, was ein Zeichen von guter Sprachkompetenz ist: Paschli komm (Russisch und Deutsch). My mummy comes after my schlafen! Wir wiederholen dann mit Freude den Satz: »Ja, deine Mama kommt nach dem Schlafen.«
Es ist jedes Mal spannend, wenn ein neues Kind zu uns kommt, das eine andere Muttersprache hat. Wir sind aufgerufen, ihm mit Freude und Offenheit zu begegnen. Wir lernen viel über andere Lebensgewohnheiten und Kulturen. Für die Kinder, die mit in der Gruppe sind, ist es ein wichtiges Zeichen zu erleben, dass jede Sprache Wertschätzung erfährt und wichtig und schön ist. Die Mitarbeiterinnen, die eine andere Muttersprache haben und in der Krippe arbeiten, sind im Alltag ein wichtiges Vorbild für uns alle.
Mit drei Jahren können die Kinder von der Krippe in den Kindergarten wechseln, wo sich ihr Sprachfeld erweitert. Sie treffen auch auf Erzieherinnen, die aus anderen Kulturen kommen und sie mit Lied- und Versgut daran teilhaben lassen. So sind sie gut vorbereitet für ihren weiteren Lebensweg und werden anderen Menschen mit Freude und Offenheit begegnen.
Zur Autorin: Ulrike Bishop ist Waldorferzieherin und Kleinkindpädagogin.