Getreide in der Kinderernährung
Von Petra Kühne, Sep 2024
Wenn man nach typischem Essen im Waldorfkindergarten fragt, so erwähnen viele die Getreideküche nach den Wochentagen. Ehemalige Kindergartenkinder erinnern sich an beliebte oder weniger beliebte Getreidegerichte. Was hat es damit auf sich?
Hinweis: Der Artikel ist in der Herbstausgabe (03/2024) der Zeitschrift »Erziehungskunst frühe Kindheit« erschienen. Einzelne Ausgaben können Sie hier bestellen. Hefte, die älter als ein Jahr sind, stehen in unserem Archiv zum Download für Sie bereit.
Das Getreide und die Wochentage
In den 1970er Jahren entstand mit der Vollwertkost ein allgemeines Interesse an den Getreidearten. Sie waren nämlich gar nicht alle bekannt in der Ernährung. Hauptsächlich verzehrte man die Brotgetreide Weizen und Roggen, von Gerste kannte man Graupen. Reis war ein eher seltenes Lebensmittel. Hirse und Hafer galten lange nur als Tierfutter. Dann entdeckte man, wie reich die Getreide an Nähr- und Wirkstoffen waren, vor allem wenn man sie als Vollkorn verzehrte. Im Arbeitskreis für Ernährungsforschung befasste sich Udo Renzenbrink (1913-1994) intensiv mit den Getreidearten und verbreitete das Wissen und die Zubereitungspraxis in vielen Vorträgen.[1] Die Zuordnung zu den Wochentagen erarbeitete er, in dem er auf alte historische Bezüge zurückgriff wie Weizen und Sonne, Reis und Mond sowie Mais und Saturn. Weitere Zuordnungen entstanden durch ernährungsphysiologische und pflanzentypische Ausprägungen zu den Planeten bzw. Göttern, die früher als Herrscher der Planeten angesehen wurden.
Da in den romanischen und germanischen Sprachen die Wochentage nach den Planeten benannt wurden, bot sich der Bezug zu den Wochentagen an, um alle sieben Getreide kennen- und schätzen zu lernen.
Wochentag Planet/Gott Getreideart
Sonntag Sonne Weizen*
Montag Mond Reis
Dienstag Mars (Tiu)** Gerste
Mittwoch Merkur Hirse
Donnerstag Jupiter (Donar) Roggen
Freitag Venus (Freya) Hafer
Samstag Saturn Mais
* Zum Weizen gehören die »Verwandten« Dinkel, Einkorn, Emmer und Kamut (Khorasanweizen).
** in Klammern stehen die germanischen Götter, auf die sich der Name des Wochentags im Deutschen bezieht.
Die Getreideernährung fand großes Interesse vor allem in Waldorfkindergärten, wozu auch die Broschüre der Waldorferzieherin Freya Jaffke »Getreidegerichte – einfach und schmackhaft« beitrug.[2] Die sieben Getreidearten boten eine Möglichkeit, einen Rhythmus in den Speiseplan zu bringen, der für die Kinder im ersten Jahrsiebt sehr erwünscht ist.
Diese waldorftypischen Getreidegerichte stammen also nicht von Rudolf Steiner, wie manchmal vermutet wird. Sie wurden im Laufe der Jahre das »übliche« Waldorf-Frühstück. Teilweise hielt man recht streng daran fest. Dabei bietet die Getreideküche viele Möglichkeiten der Variation. Warum wurde überhaupt das Getreide als so wichtig in der Kinderernährung angesehen?
Zum Getreide
Das Getreide ist weltweit ein Grundnahrungsmittel und versorgt den Menschen mit wichtiger Energie und Nährstoffen. Es ist ein kohlenhydratreiches Lebensmittel, das Muskeln und Gehirn Nährstoffe und Energie liefert. Das pflanzliche Eiweiß stellt die Grundlage für das körperliche Wachstum dar. Ferner enthält Getreide wenig, aber hochwertiges Öl im Keimling, viele B-Vitamine, Mineralstoffe und Ballaststoffe. So ist Getreide zum Beispiel der Kartoffel im Eisen- und Eiweißgehalt überlegen, was besonders in der vegetarischen Ernährung von Bedeutung ist.
Schaut man auf die Wachstumsgeste des Getreides, so zeigt sich der lange Halm, auf dem die Ähre oder die Rispe sich in Licht und Wärme der Sonne entwickelt. Der Halm weist eine bemerkenswerte Stabilität und Elastizität auf, so dass er den schweren Fruchtstand bei den Ährengetreidearten (Weizen, Dinkel, Gerste, Roggen) trägt und Wind und Böen weitgehend ausgleichen kann. Man kann dieses Bild mit dem kleinen Kind vergleichen: So wie es lernt, sich aufzurichten und den schweren Kopf im Gleichgewicht zu halten, so verfügt die Getreidepflanze über die Information der Aufrichte entgegen der Schwerkraft, die nach unten zieht. Etliche andere Pflanzen können dies nicht von allein, sondern benötigen zum Beispiel eine Rankhilfe wie die Bohnen oder bleiben nahe dem Boden wie die Kartoffel, die ihre Knollen im Dunkeln der Erde ausbildet. Das Getreide vermittelt die Information der Aufrichte dem Licht entgegen.
Der Reichtum an Vitaminen, Mineral- und Ballaststoffen befindet sich überwiegend in den Randschichten des Getreidekorns. Daher trägt vor allem Vollkorn zur Versorgung des Menschen bei. Weißmehl verfügt zum Beispiel nur über 30 % des Vitamin B1-Gehalts wie Vollkornmehl.
Zahlreiche Studien zeigen die gesundheitlichen Vorteile von Vollkorn. So schützt es u.a. vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Darmkrebs, Diabetes und Übergewicht. Angebliche negative Wirkungen besonders von Weizen und Gluten konnten widerlegt werden, wenn nicht eine Unverträglichkeit vorliegt.
Die Getreidearten
Viele Getreidearten wurden bereits vor etwa 10.000 Jahren gezüchtet und angebaut. Es gibt im Wesentlichen sieben Arten: die Weizenfamilie, Reis, Gerste, Hirse, Hafer, Roggen und Mais. Sie kamen früher oft nur in bestimmten Kontinenten vor wie der Mais in Süd- und Mittelamerika oder der Reis im tropischen Ostasien. Heute baut man weltweit die verschiedensten Getreide an, wo es klimatisch möglich ist. Im Sinne einer nachhaltigen Ernährung ist regionaler und ökologischer Anbau, besonders Demeter zu bevorzugen.
Die einzelnen Getreidearten
Die Weizenfamilie
Hierzu gehören Weizen, Dinkel, Kamut (Khorasanweizen) sowie die alten Getreide Emmer und Einkorn. Alle verfügen über eine gute Backfähigkeit, so dass sich daraus geformte Brotlaibe backen lassen. Die Backfähigkeit ist eine Formkraft, die auf dem Weizeneiweiß Gluten beruht. Aus Weizen wird neben den Mehlen und Brot, Bulgur und Couscous hergestellt. Ebenso bestehen die meisten Teigwaren aus Weizen. Dafür ist besonders der in wärmeren Gegenden wachsende Hartweizen geeignet.
Reis
Reis wird als Vollkorn (Naturreis), parboiled Reis oder weißer Reis angeboten. Reis hat eine Beziehung zum Wässrigen, wird überwiegend in gefluteten Feldern angebaut. Er ist kohlenhydratreicher als die anderen Getreide, wirkt vor allem als Naturreis aufbauend und kräftigend, er ist glutenfrei. Leider reichert er sich je nach Bodenzustand mit Arsen an. Daher empfiehlt man für kleine Kinder, nicht mehr so häufige Reismahlzeiten zu essen und evtl. auf weißen Reis auszuweichen. Die beliebte Reiswaffel kann man gegen Maiswaffeln tauschen. In der EU darf der Arsengehalt bestimmte Höchstmengen nicht überschreiten, so dass ein Schutz gegeben ist.
Gerste
Gerste zählt neben Hirse zu den ältesten Getreidearten. Auch sie ist recht kohlenhydratreich, was man beim Keimen zur Malz-, Sirup- und Bierherstellung nutzt. Gerste hat einen health claim (Gesundheitsaussage), da regelmäßiger Verzehr, den Blutzucker und das Blutcholesterin senken. Gerste verwendet man als Graupen, Gerstenbulgur oder Flocken. Zum Brotbacken ist sie weniger geeignet.
Hirse
Die bekannteste Hirse ist ein Rispengetreide. Sie wird aktuell wieder interessant, da sie auch in Trockenzeiten gedeiht. Sie enthält viel Eisen und Fett, wirkt anregend auf Haut, Haare und Nägel des Menschen. Hirse wird – nicht zuletzt wegen ihrer gelben Farbe gern von Kindern gegessen. Sie durchwärmt den Organismus und ist glutenfrei.
Roggen
Roggen ist das zweite backfähige Getreide neben der Weizenfamilie. Er eignet sich für kräftige Brote. Gern wird im Kindergarten auch Roggen-Knäckebrot verwendet. Roggen erfordert eine stärkere Verdauungstätigkeit, vermittelt Formkräfte, kräftigt die Muskeln und regt die Lebertätigkeit an.
Hafer
Hafer ist ein »junges« Getreide, das aus Westasien stammt. Früher nur als Kraftfutter für Pferde geschätzt, sind Haferflocken im Müsli und der Sportlerernährung nicht mehr wegzudenken. Hafer enthält Magnesium, das wichtig ist beim Aufbau von Nerven und Gehirn sowie für die Muskel- und Herztätigkeit benötigt wird. Er wirkt kräftigend und wird deshalb – aber auch wegen seiner Schleimbildung – gern in der Kinder- und Krankenernährung verwendet.
Mais
Mais wächst als große, kräftige Pflanze heran. In seiner Heimat Süd- und Mittelamerika bereitet man aus ihm u.a. Tortilla (Maisfladen). Bei uns verwendet man gern Polenta (Maisgrieß) und Maismehl vor allen in der glutenfreien Küche. Auch Popcorn wird aus Mais hergestellt. Mais ist ein wichtiges Futter- und Biogasgetreide.
Verarbeitung und Zubereitung
Für Vollkorngerichte ist eine ausreichende Verarbeitung und Zubereitung zu beachten. Getreidekörner sind Samen, die eine Art »Naturkonserve« darstellen. Man muss sie, damit sie gut verdaulich und bekömmlich werden, entsprechend »aufschließen«. Das erfolgt mit Wasser und Wärme, wie auch das Korn in der Erde sich entfaltet. Dadurch kann der Mensch die wertvollen Inhaltsstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe sowie sekundäre Pflanzenstoffe erst richtig nutzen. Noch immer gilt für viele Menschen Vollkorn als identisch mit ganzen Körnern, die oft hart auf der Brotrinde sitzen. Aber das ist ganz falsch. Vollkorn kann fein gemahlen sein und entsprechend bekömmlich zubereitet werden. Dann ist dieses Getreide auch für kleine Kinder verträglich.
Inzwischen bietet der Handel vollwertige Getreideprodukte an, die sich schnell und ohne stundenlanges Quellen und Kochen zubereiten lassen wie Thermogetreide, Bulgur, Couscous aus verschiedenen Getreidearten.
Da jede Getreideart anders schmeckt und andere Informationen vermittelt, ist es sinnvoll, zu wechseln und die einzelnen kennen zu lernen. Dazu bietet die Zubereitung nach den Wochentagen eine Möglichkeit. Es genügt, dass das Angebot für eine Mahlzeit am Tag gilt und nicht, dass alle Mahlzeiten zum Beispiel am Mittwoch aus Hirse zubereitet sein sollten. Wenn ein Kind eine Getreideart gar nicht mag, sollte es auch nicht jede Woche davon ein »Probierlöffelchen« erhalten. Oft hilft es, die Gerichte zu variieren, damit es anders schmeckt und aussieht. Kindgemäß zubereitet bereichern die Getreide eine gesundheitsförderliche und abwechslungsreiche Ernährung.
Zur Autorin: Dr. Petra Kühne hat drei erwachsene Söhne, ist Ernährungswissenschaftlerin, Leiterin des Arbeitskreises für Ernährungsforschung e.V. in Bad Vilbel und verfügt über 30 Jahre Vortrags- und Kurstätigkeit. Buchveröffentlichungen: »Säuglingsernährung« 13. Aufl. 2020, Dinkel, Einkorn und Emmer – Urkorn in der Ernährung 2020, Glutenfrei essen, 2023.
Kontakt: info@ak-ernaehrung.de, www.ak-ernaehrung.de
[1] Udo Renzenbrink: Die sieben Getreide, Verlag am Goetheanum. Dornach 2014.
[2] Freya Jaffke: Getreidegerichte einfach und schmackhaft, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1974. Vergriffen, nur noch antiquarisch erhältlich.