Massive Gesundheitsschäden durch Handy und Co

Ab wann soll mein Kind ein Smartphone bekommen? Der soziale Druck ist groß. Schon Kleinkinder wollen es: »AADDA – Aber Alle Anderen Dürfen Das Auch!«

von Peter Hensinger ( Fotos: Peter Hensinger)

Artikel erscheint ungekürzt in der ErziehungskunstfrüheKindheit im Herbst 2024

Ab wann soll mein Kind ein Smartphone bekommen? Der soziale Druck ist groß. Schon Kleinkinder wollen es: »AADDA – Aber Alle Anderen Dürfen Das Auch!« Weltweit ist eine heftige Diskussion entstanden. Das erstaunliche Ergebnis: Der neue UNESCO-Bildungsreport 2023 warnt vor zu früher Nutzung digitaler Medien. Vierzig Experten aus Deutschland und der Schweiz fordern einen Stopp der Digitalisierung von Erziehungseinrichtungen und die Rückbesinnung auf die Pädagogik (https://die-paedagogische-wende.de). Und Experten für Strahlenschutz warnen vor massiven gesundheitsschädlichen Auswirkungen. Braucht es ein Smartphone- und Tabletverbot für KiTas und Grundschulen?

Elf deutsche Fachverbände warnen in der »Leitlinie zur dysfunktionalen Bildschirmnutzung für Kinder und Jugendliche« vor den Folgen der Smartphone-Nutzung: Übergewicht, Schlafstörungen, Augenerkrankungen, Entwicklungsstörungen, Bindungsstörungen, Verhaltensstörungen, Internetsucht, Mobbing und sexuelle Belästigung, Glücksspiel, Strahlungsbelastung sowie prä- und postnatale Auswirkungen der Nutzung während der Schwangerschaft. Diese Folgen sind bereits da, Krankenkassen schlagen Alarm. Die schockierenden Pisa-Ergebnisse sind auch darauf zurückzuführen. Kinder sind der Reizüberflutung und den oft verstörenden Inhalten der sozialen Medien nicht gewachsen, sondern ihnen ausgeliefert, bis hin zur Sucht, da sie noch über keine Impulskontrolle verfügen. Die Neurobiologin Gertraud Teuchert-Noodt fordert auf Grund der schädigenden Auswirkungen auf die Gehirnentwicklung einen Verzicht bis zum 14.-16. Lebensjahr. Der Schulpädagoge Klaus Zierer schreibt als Fazit seiner Untersuchung: »Je länger sich Kinder und Jugendliche in ihrer Freizeit mit ihren Smartphones beschäftigen und je mehr Zeit sie in sozialen Medien verbringen, desto geringer ist die schulische Lernleistung.«

Länder wie Schweden, Dänemark oder Finnland, die Vorreiter der Digitalisierung von Kitas und Grundschulen waren, zogen die Notbremse. Dänemark entschuldigte sich sogar bei den Schülern und Eltern für das schädigende Experiment Digitalisierung. Strikte Smartphone-Verbote bis zum 16. Lebensjahr werden erlassen oder diskutiert. Sollen wir deren Fehler sehenden Auges wiederholen?

Unterschätzte Strahlenbelastung

Die Leitlinie zur Bildschirmnutzung weist auf ein Schädigungspotenzial hin, das unterschätzt wird: Die Strahlenbelastung. Die mobilen Geräte senden und empfangen mit hochfrequenter Mobilfunkstrahlung, der unsere Kinder durch das Smartphone und WLAN schutzlos ausgesetzt sind. Im Jahr 2011 stufte die Krebsagentur IARC der WHO die Strahlung als möglicherweise Krebs erregend ein. Auch schädigende Auswirkungen auf Spermien- und Embryos sind nachgewiesen. Offizielle Stellen warnen vor diesen Risiken, wie der STOA-Bericht des Technikfolgenausschusses des EU-Parlaments, der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) im Amtsblatt der EU und nicht zuletzt der Bericht zur Technikfolgenabschätzung (TAB) des Bundestages von 2023.

Kinder sind von der Strahlung besonders betroffen, schreiben Michael Kundi und Hans-Peter Hutter von der Medizinischen Universität Wien, weil ihr »in Entwicklung befindlicher Organismus besonders vulnerabel ist« (umwelt·medizin·gesellschaft, 32, 3/2019). Als Gründe führen sie an:

  • Die Eindringtiefe der Strahlung beim Telefonieren ist größer und daher die Absorption elektromagnetischer Energie in empfindlichen Geweben höher.
  • Im Schädelknochen befindet sich bei Kindern und Jugendlichen noch rotes Knochenmark, eine Schädigung der Blutstammzellen (hämatopoetische Stammzellen) ist daher nicht ausgeschlossen.
  • Die Ohrmuschel ist etwa 5 % und die Kopfhaut sowie der Schädelknochen sind etwa 70 % dünner als im Erwachsenenalter, weswegen die Antenne näher am Gehirn liegt als bei Erwachsenen.
  • Die Ausbildung der Nervenscheiden (Myelinisierung) ist noch nicht abgeschlossen und das Gewebe unterliegt einer starken Entwicklungsdynamik.

Die aktuelle Studienlage zu WLAN

Mehr als 1.000 Studien weisen Schädigungen durch Mobilfunkstrahlung nach. Im Folgenden einige Auswirkungen der von Kindern und Jugendlichen viel benutzten WLAN-Frequenz. Zwei Studien einer türkischen Arbeitsgruppe ergaben enorme Auswirkungen auf das Gehirn, und dort insbesondere auf dem Hippocampus, einer Schaltstelle für das Lernen:

»(1) Verschlechtertes Lern- und Erinnerungsvermögen bei männlichen erwachsenen Mäusen, welche mit 2,45 GHz Mikrowellen bestrahlt wurden. (2) Erhöhtes hippocampisches Stresslevel. (3) Beeinträchtigte synaptische Plastizität. (4) Verringerte Expression von Signalwegskomponenten, welche für Lern- und Gedächtnisprozesse von hoher Bedeutung sind. Alle oben aufgezählten Wirkungen sind abhängig von der Bestrahlungsdauer, je länger die Bestrahlung, desto drastischer die Wirkung.« (Elektrosmog-Report, April 2018)

Das ist kein Einzelergebnis. Viele WLAN-Studien zeigen direkte Einwirkungen auf die Gehirnregion des Hippocampus und auf die pyramidalen Neuronen, auf. Ihre Langzeitplastizität wird negativ beeinflusst. Die Folgen sind Stressreaktionen, Beeinträchtigungen des räumlichen Lernens und Gedächtnisses, kognitive Verhaltensstörungen, Ängstlichkeit, Hyperaktivität. In einer Studie wurden psychologische Tests bei Schülern zur Wirkung von WLAN auf das Kurzzeitgedächtnis, selektive Aufmerksamkeit (Fokussierung auf eine Sache) und geteilte Aufmerksamkeit (»Multitasking«) durchgeführt. Die WLAN-Gruppe hatte signifikant schlechtere Gedächtnisleistungen.

Der epidemische Anstieg von Schlafstörungen und Kopfschmerzen wird jährlich durch Erhebungen der Krankenkassen bestätigt. Ein Anstieg von 47,5 Prozent im Jahr 2010 auf 78,9 Prozent im Jahr 2016 (DAK-Studie, Ärzteblatt 2017), erstaunlich parallel zur Verbreitung des Smartphones. Der Niederländische Gesundheitsrat räumte ein, dass Schlafstörungen durch Funkstrahlung »möglich« sind (Health Council of Netherlands, 2020). Es wurde wiederholt nachgewiesen, dass durch die Strahlung die Blut-Hirn-Schranke durchlässig wird und Giftstoffe ins Gehirn eindringen können.

Inzwischen weiß man auch, warum die Strahlung so schädlich ist. Sie führt zur Überproduktion von freien Radikalen, zum sogenannten Oxidativen Zellstress, einer Hauptursache entzündlicher Erkrankungen. Das alles macht eindringlich klar: Diese beiden Auswirkungen, die psycho-sozialen und die strahlungsbedingten, verbieten den Einsatz von Bildschirmmedien in Kitas und Grundschulen.

Krabbeln, Klettern, Kommunizieren machen intelligent

Eltern und Kita haben es in der Hand, dass dem Verlangen nach dem Handy oder Tablet der Boden entzogen wird. Sie können z.B. vereinbaren, dass kein Kind, das ihre Einrichtung besucht, ein Smartphone nutzen oder besitzen darf. In der Stadt Greystones in Irland haben alle Grundschulen mit den Eltern eine solche Vereinbarung getroffen, mit großem Erfolg.

Die Leitlinie appelliert an die Vorbildfunktion der Eltern: keine eigenen Geräte für Kinder und keinen unkontrollierten, unbegleiteten Zugang zum Netz. Eltern und Geschwister sollten als Vorbilder fungieren und z. B. in Gegenwart von jüngeren Familienmitgliedern ganz auf die Nutzung von Bildschirmmedien verzichten.

Und natürlich kommt es auf die Alternativen an. Im Kind muss Freude am Spielen, Lesen, Musizieren und Toben, Freude an der Natur geweckt werden, so dass das Smartphone unwichtig wird. So entwickeln sich die natürlichen Sinne, lernen die Kinder alle Grundfertigkeiten und werden medienmündig. Die Bedienung des Smartphones ist für sie eh »kinderleicht«, das lernen sie dann mit sechzehn Jahren schnell.

Das alles ist heute eine große Herausforderung. Deshalb sollten sich Eltern am Elternabend mit den Erzieherinnen und Erziehern beraten und Fachleute hinzuziehen, z.B. von Echt-dabei: https://www.echt-dabei.de/unser-angebot.

Erziehende finden viele Unterrichtsbeispiele für die Erziehung zur Medienmündigkeit auf: https://www.analog-digidaktik.de/ .

Für Elternabende zum Impuls für die Diskussion gibt es von Eliant den Kurzfilm: Aufwach(s)en im Umgang mit digitalen Medien, Kurzlink: https://t1p.de/12qxi

Die im Text aufgeführte Studienergebnisse sind detailliert dokumentiert in einem Vortrag des Autors auf der Ärztefortbildung des ARCIM-Institutes in Bad Boll. Der Vortragstext kann gerne heruntergeladen werden von https://www.diagnose-funk.org/2079

Ihre Fragen zu diesem Thema beantwortet der Autor gerne:  peter.hensinger(at)diagnose-funk(punkt)de

Zum Autor: Peter Hensinger ist Vorstandsmitglied bei der Verbraucherschutzorganisation diagnose:funk, dort zuständig für den Bereich Wissenschaft. Er hat das Bündnis für humane Bildung mit initiiert. Er studierte Pädagogik, Germanistik und Linguistik und arbeitete als Pädagoge in Stuttgart in der Psychiatrie.

Literaturhinweise:

  • Ärzteblatt: Immer mehr Bundesbürger schlafen schlecht,

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/73627/Immer-mehr-Bundesbuerger-schlafen-schlecht, 2017, https://www.dak.de/dak/bundesthemen/fast-jeder-dritte-schueler-hat-schlafstoerungen-2090982.html#/

  • Davis, D., Birnbaum u.a.: »Wireless technologies, non-ionizing electromagnetic fields and children: Identifying and reducing health risks«. Curr Probl Pediatr Adolesc Health Care 2023, 53 (2), 101374. Auf Deutsch als diagnose:funk Brennpunkt erschienen.
  • Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DGKJ) u.a (Hgg.): »Leitlinie zur Prävention dysregulierten Bildschirmmediengebrauchs in Kindheit und Jugend«, 2023; www.awmf.org/service/awmf-aktuell/praevention-dysregulierten-bildschirmmediengebrauchs-in-kindheit-und-jugend; www.diagnose-funk.org/2005.
  • Elektrosmog-Report im April 2018.
  • Health Council of Netherlands: «5G and health«, www.healthcouncil.nl/documents/advisory reports/2020/09/02/5g-and-health (abgerufen 19.04.2024) S. 22, 25, 26.
  • Michael Kundi, Hans-Peter Hutter: »Die Gefahrenbeurteilung der Exposition von Kindern gegenüber elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Feldern – wie sind die Perspektiven?« umwelt·medizin·gesellschaft, 32, 3/2019.

– G. Teuchert-Noodt: »Ein Bauherr beginnt auch nicht mit dem Dach. Die digitale Revolution verbaut unseren Kindern die Zukunft, umwelt-medizin-gesellschaft«, 29 / 4, 2016.

 

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