Waldorfpädagogische Aspekte

Zu den Kräften, welche bildsam auf die physischen Organe wirken, gehört die Freude an und mit der Umgebung. Heitere Mienen der Erzieher und vor allem redliche, keine erzwungene Liebe. Solche Liebe, welche die physische Umgebung warm durchströmt, brütet im wahren Sinne des Wortes die Formen physischer Organe aus. Wenn die Nachahmung gesunder Vorbilder in solcher Atmosphäre der Liebe möglich ist, dann ist das Kind im richtigen Element.

Rudolf Steiner, Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft

Filmrealisierung Regie: Jochen Gerken, Kamera: Boris Weil, Musik: Robert Hermann, Texte: Dr. Wolfgang Saßmannshausen

Was passiert, wenn Sie mit einem 4jährigen Kind an einem Gruppe singenden, tanzender Menschen vorbei kommen? – Das Kind bleibt stehen, guckt und tanzt mit. Oder Sie kommen an einer Baustelle vorbei und der Bagger hebt gerade ein tiefes Loch aus, das Kind bleibt stehen, schaut und nimmt die Bewegungen in sich auf. Zu Hause spielt es diese Szene nach, mit welchen Mitteln auch immer.

Die Kinder haben ein tiefgreifendes Interesse an den Vorgängen der Welt und eine große Freude oder Befriedigung daran, diese Vorgänge nachzuahmen. Die Sinneseindrücke und deren Verarbeitung bilden das Gehirn des Menschen aus und legen damit die Grundlage für geistige und seelische Fähigkeiten. Im weitesten Sinne kann man sagen, man veranlagt die Disposition für Gesundheit und Krankheit (Störungen) im späteren Leben.
Liebe und Freude sind die Prinzipien, die immer in der Erziehung vorhanden sein sollten, im ersten Jahrsiebt sind sie besonders wichtig. Der Erwachsene ist in dieser Zeit das Vorbild, alles, was dem Kind vorgelebt wird, nimmt es auf und verinnerlicht es.

Filmrealisierung Regie: Jochen Gerken, Kamera: Boris Weil, Musik: Robert Hermann, Texte: Dr. Wolfgang Saßmannshausen

Die grundlegenden menschlichen Fähigkeiten wie Gehen und Sprechen lernt das Kind durch die Nachahmung. Für alles Lernen ist Beziehung, Freude und Bewegung wichtig. Im Kindergarten erleben die Kinder den sinnvoll tätigen Erwachsenen, der seine Tätigkeiten so einrichtet, daß die Kinder diese Tätigkeiten durchschauen und mit vollziehen können. Dies wirkt ordnend auf die Gefühls- und Gedankenwelt des Kindes. In seinem Spiel werden die verinnerlichten Eindrücke wieder nach außen gebracht und so verarbeitet. Im Spiel findet eine Verknüpfung von motorischen, sozialen und gedanklichen Prozessen statt und fördert damit die Vernetzung im Gehirn (sensorische Integration). Der "Erkenntnisweg", dem das Kind im ersten Jahrsiebt folgt, ist Handeln – Fühlen – Denken. Deshalb sind die Kinder über eine Tat, über ihren Willen ansprechbar und nicht durch Ermahnungen oder Belehrungen, die nur den Intellekt des Kindes ansprechen. So nimmt das Kind nicht nur äußere Handlungen über die Nachahmung auf, sondern unsere Mitmenschlichkeit unserer Umgebung gegenüber. Dies bildet später die Grundlage für eigenen verantwortliches und moralisches Handeln.

Spiel und Spielzeug

Sieben oder acht Jahre des Sichbewegens und Spielens sind notwendig, um einem Kind die sensomotorische Fähigkeit zu vermitteln, die als Grundlage für seine intellektuelle, soziale und persönliche Entwicklung dienen kann.

Jean Ayres, Bausteine der kindlichen Entwicklung

Das Kind will mit allen Sinnen erleben, sich mit dem ganzen Körper bewegen, mit Händen und Füßen tätig sein, seine Umwelt ergreifen, begreifen. Die schönsten Spiele entstehen dort, wo es "nichts" zum Spielen gibt, es aber sinnlich stark angeregt wird, z.B. in der Natur. Am Strand mit Wasser, Sand und Muscheln wird endlos Sandgebäck fabriziert, werden Sandburgen gebaut oder Muschelsuppe gekocht, im Kaufladen gibt es verschiedene Muscheln, Steine und Algen zu kaufen. Oder im Wald, wo aus Ästen und Stöcken Zelte und Hütten wachsen, wo aus Rinden, Moos und Blumen kleine Schiffe entstehen, wo man Versteck spielen kann.
Im Waldorfkindergarten haben wir schon durch die Auswahl der Spielmaterialien eine vielfältige Sinnesanregung. Das kleine Kind reagiert unmittelbar körperlich und gefühlsmäßig auf alle Sinneseindrücke, nicht über den Verstand. Ein komplexer Sinneseindruck, der viele Qualitäten aufweist, führt zu einer differenzierten Vernetzung im Gehirn, wobei auch die Gefühle beteiligt sind. Dies ist für die späteren kognitiven und sozialen Fähigkeiten von großer Bedeutung.

Im Freispiel darf (soll) ein schöpferisches Chaos entstehen, da Phantasie Freiräume und Anregung durch das Zufällige braucht. Nichts ist ausgestaltet, alles kann sich von einem Augenblick zum nächsten verändern: ein Stückchen Holz, gerade noch als Bügeleisen dringend benötigt, wird zum Telefon. Das kleine Kind wird noch vollkommen durch das vorhandene Spielmaterial angeregt, die "großen" Kinder haben bereits eigene Ideen und Vorstellungen und suchen sich ihre Materialien zusammen und die mittleren entdecken die Rollenspiele. In der Spielentwicklung durchlaufen auch die Phantasiekräfte eine Metamorphose. Wenn sie gepflegt werden und sich entwickeln dürfen, bilden sie später die Grundlage für kreatives lebendiges Denken.

Alle Spielzeuge, welche nur aus toten mathematischen Formen bestehen, wirken verödend und ertötend auf die Bildungskräfte des Kindes, dagegen wirkt in der richtigen Art alles, was die Vorstellung des Lebendigen erregt.

Rudolf Steiner, Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte des Geisteswissenschaft

Das Spielzeug im Waldorfkindergarten ist schnell aufgezählt, denn es handelt sich in der Regel um einfache Gegenstände, die die Phantasie der Kinder anregen sollen und deshalb sehr einfach gestaltet sind. Es gibt Tücher, Bretter, Holzklötze, Körbe, Muscheln, Kastanien, Obstkerne, Eicheln, Steine, Tannenzapfen, ein paar gestrickte oder geschnitzte Tiere, einige einfache Stoffpuppen, eine Einrichtung für die Puppenstube, Nadel, Faden, Wolle, Spieleständer, Stühle und Tische. Dies ist sozusagen das "Urmaterial", aus dem man fast alles herstellen kann.

Der Tannenzapfen dient z.B. als Baum in einem Puppentheaterspiel, oder als Spritze beim Arzt, als Gemüse im Kaufladen und als Reiseproviant für unterwegs. Spieltücher finden ihre Verwendung für Verkleidungen aller Art, Häuserwände und –eingänge, Verbände für Kranke, als Fallschirm, als Kissen, als Decke, eine Zeitung kann durch sorgfältiges Falten hergestellt werden oder ein neues Puppenkind entsteht durch fünf Knoten im Tuch. Selbst ein Christkind wurde in der Weihnachtszeit aus solch einem Tuch hergestellt und von den Kindern mit einer rührenden Ehrfurcht im Krippenspiel betreut.

Die Sinne der Kinder sollen möglichst vielfältig angesprochen werden. Das Kind erlebt den unterschiedlichen Sinneseindruck, wenn es einen Stein in die Hand nimmt, die Kühle, Schwere und Glätte spürt, oder einen Tannenzapfen, der viel wärmer ist, aber keine geschlossene Oberfläche hat, der rauh ist und vielleicht noch ein bißchen nach Wald riecht. Die Kastanien liegen von ihrer Qualität her dazwischen, sind glatt und rund wie der Stein, aber nicht so kalt und schwer. Die Muscheln erinnern an den Urlaub am Meer, man kann die verschiedenen Formen betrachten und mit den Fingern nachfahren.

Die Bauklötze aus Aststücken sind alle unterschiedlich breit und hoch, manche sind auch etwas schief oder haben ein kleines Astloch an der Seite. Es ist schon schwierig, da das richtige Gleichgewicht zu finden. Aber sie sind vielfältig zu gebrauchen, ein Aststück hat eine Gabel und kann als Tor oder Brunnen dienen, ein anderes sieht aus wie ein Auto, kann aber auch als Telefon dienen.

Ernährung

Bei der Ernährung schließlich ist ebenfalls auf Gesundheit und Ausgewogenheit zu achten. Es ist sinnvoll, Nahrungsmittel verschiedener Pflanzenteile (Wurzel, Stengel, Blatt, Blüte oder Frucht) zu kombinieren, denn in jedem dieser Pflanzenteile findet während des Wachstums eine andere Wechselwirkung mit den Kräften aus der Umgebung statt. Dadurch werden dem menschlichen Organismus unterschiedliche Anregungen geboten: die Wurzeln regen die Nerven-Sinnes-Prozesse an, die Blattorgane wirken auf das rhythmische System und die Blüten oder Früchte auf die Stoffwechselvorgänge. Man sollte daher darauf achten, den Menschen in seiner Gesamtheit anzusprechen und Einseitigkeiten zu vermeiden.

Daneben ist noch der Gesichtspunkt der Qualität zu beachten. Produkte aus der biologischen Landwirtschaft erhöhen nicht nur das eigene Wohlbefinden, sondern leisten auch einen Betrag zur Gesunderhaltung der Erde, besonders die Produkte aus biologisch-dynamischer Landwirtschaft.

Kleidung

Die Kleidung ist unsere äußere Hülle: Die Haut muß atmen können, Schweiß wird aufgenommen und der Körper soll in angemessener Weise gewärmt werden. Wenn man sich diese Anforderungen verdeutlicht, kommt man schnell zu Kinderkleidung aus Naturfasern. Für kleine Kinder ist besonders die Wolle zu empfehlen, die den Körper in angenehmer Weise wärmt, sehr viel Flüssigkeit aufsaugen kann, ohne sich feucht anzufühlen und die Luftzirkulation ermöglicht. Baumwolle hat nicht in diesem Maße die Möglichkeit, Feuchtigkeit nach außen zu geben.

Es ist mittlerweile möglich, schadstoffreie bzw. schadstoffreduzierte Kleidung zu kaufen, Baumwolle, die nicht mit Pestiziden behandelt wurde, sogar farbig gewachsene Baumwolle, wo auch noch die chemische Färbung wegfällt, und Schafwolle, die ebenfalls nicht chemisch behandelt wurde. Die Haut ist so etwas wie die äußere Lunge des Kindes und man sollte sie vor zu großer Belastung und Verschmutzung schützen. Viele dieser chemischen Stoffe lösen mittlerweile auch Allergien aus, vor denen man sein Kind beschützen kann.

Das Gleiche gilt für die Farben, die den Körper durch ihre Schadstoffe belasten können. Die Kleidung ist auch Ausdruck unserer Individualität. Daher ist eine gewisse Zurückhaltung bei plakativen Mustern, Aufdrucken oder Farben zu empfehlen. Die Farbe der Kleidung beeinflußt die seelische Gestimmtheit des Kindes, rot hilft sehr aktiven Kindern ruhiger zu werden und blau hilft melancholischen Kindern aktiver zu werden. (Vgl. R. Steiner: Die Erziehung des Kindes vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft).

Raumgestaltung

Jeder Waldorfkindergarten ist ganz individuell und doch kann man verschiedene Merkmale fast überall wiederfinden. Die Wände sind in der Regel zartrosa lasiert, diese Farbe in Verbindung mit der Maltechnik vermittelt eine Geborgenheit, die an die Situation des Kindes in der Schwangerschaft erinnert. Die Vorhänge, Spieltücher oder "Wände" der Spielhäuser passen sich harmonisch in dieses Gefüge ein und sind meisten mit Pflanzenfarben gefärbt, die einen weicheren, lebendigeren Farbton haben als chemische Farben.

Die Möbel sind aus Holz und alle Spielmaterialien bestehen aus Naturmaterial. Dies tun wir, damit die Eindrücke, die das Kind von der Welt erhält, stimmen. Jedes Material wie Stein, Muschel, Holz, Stoff oder Tannenzapfen hat sein spezifisches Aussehen, sein spezifisches Gewicht und seinen typischen Geruch.

Der Kindergarten ist klar und übersichtlich gegliedert. Jedes Spielzeug hat seinen Platz. Diese äußere Ordnung gibt den Kindern Sicherheit und Halt. Der ganze Raum lebt in der Stimmung der entsprechenden Jahres- oder Festeszeit. Auf dem Jahreszeitentisch wird das Geschehen in der Natur versinnbildlicht.

Draußen im Garten achten wir auf vielfältige Sinneseindrücke, es gibt Licht und Schatten, warme und kühle Plätze, Sand - naß und trocken -, Gras, verschiedene Bäume mit unterschiedlicher Rinde und verschiedenen Blättern, Büsche und Sträucher, manche duften gut und man kann sich hinter ihnen verstecken.

Weitere Gesichtspunkte

Rudolf Steiners Erziehungsmotto faßt er selbst in folgenden Worten zusammen: "Das Kind in Ehrfurcht empfangen, in Liebe erziehen und in Freiheit entlassen." Die Erziehung zur Freiheit ist ein hohes Ideal und es bedarf einer genauen Kenntnis der kindlichen Entwicklung, damit dieses Ziel Realität werden kann.

Filmrealisierung Regie: Jochen Gerken, Kamera: Boris Weil, Musik: Robert Hermann , Texte: Dr. Wolfgang Saßmmannshausen

In den ersten sieben Jahren ist das Kind noch ganz damit beschäftigt, die Welt und sich selbst kennenzulernen. Es ist die Phase des größten körperlichen Wachstums (mit zwei Jahren hat das Kind die Hälfte seiner endgültigen Körpergröße erreicht.). Für dieses Wachstum und die Reifung seiner Organe braucht das Kind viele Lebenskräfte. Diese Kräfte regenerieren sich in einem rhythmischen Tagesablauf, in dem sich Phasen der Aktivität mit Phasen der Ruhe regelmäßig abwechseln. Feste Tageszeiten für das Essen und Schlafen und eine gewisse gleichbleibende Struktur des Tages geben dem Kind Sicherheit und helfen ihm, seinen eigenen Rhythmus zu finden. Wenn sich jeden Tag der vertraute Ablauf wiederholt, kann das Kind abends einschlafen in der Gewißheit, daß morgen alles wieder seine Ordnung hat.
Im Waldorfkindergarten erleben die Kinder auch eine Strukturierung der Woche durch eine spezielle Prägung der einzelnen Wochentage.

Die Kinder erleben die Vorgänge in der Natur im Wechsel der Jahreszeiten bewußt und unbewußt mit. Dies kann auch für den Erwachsenen eine Hilfe bedeuten, neu und ganz bewußt die Naturvorgänge zu betrachten und zu erleben und einen neuen Zugang zu den Jahresfesten zu finden. In den Jahresfesten finden die Kinder zu ihrer natürlichen Religiosität. Das Feiern der Jahresfeste kann in jeder Familie eine eigene Tradition und Verbundenheit schaffen, die oft ein Leben lang trägt. Mit jeder Jahreszeit und mit jedem Alter ist bestimmter Erzählstoff, spezielle Märchen und Geschichten verbunden. Lieblingslieder oder spezielle Festtagsessen können in den späteren Jahren noch einmal die Kindheitserinnerungen wach werden lassen. Die Feste sind eine Gelegenheit, den Menschen in seiner Dreiheit (Körper, Seele und Geist) anzusprechen.

Das Spiel der Kinder ist in ihrer fröhlichen, lauten oder besinnlichen Art eine wichtige und ernste Angelegenheit. Das Spiel ist in seiner Bedeutung der Arbeit des Erwachsenen gleichzusetzen. Es ist wichtig, die Kinder in ihrem Freispiel zu beobachten und zu bemerken, wann das Kind Hilfe oder Anregung für sein Spiel braucht. Es gibt einige Faktoren, die man beachten muß: Hat das Kind die Möglichkeit und genügend Raum (räumlich und zeitlich) zu spielen? Wie wirkt das Spielzeug, daß das Kind zur Verfügung hat? Kann das Kind in dem Spiel seine Gefühle und Wahrnehmungen wiedergeben?

Das Spiel des Kindes sollte schöpferisch und frei sein. Das Spielzeug sollte ihm viel Raum für die eigene Phantasie lassen. Im Spiel wollen die Sinne des Kindes angeregt werden, es will mit Händen und Füßen die Welt ergreifen und begreifen können. Je einfacher das Spielmaterial ist, desto vielfältiger ist es zu verwenden: Kastanien können die Kartoffeln im Kaufmannsladen sein aber ebenso sind sie das "Granulat", das der Schneepflug ausstreut oder sind der Schatz, den die Seeräuber finden müssen. Spieltücher sind in seiner Vielfältigkeit wohl unerreicht.

In der Raumgestaltung sollten die Kinder Klarheit und Ordnung und außerdem wohliges Geborgenheitsgefühl erleben. Denn nur aus der Geborgenheit heraus kann das Kind schöpferisch tätig werden.

Ähnliches gilt für die äußeren Hüllen des Kindes, die Kleidung. Sie sollte dem Kind genügend Bewegungsfreiheit lassen und sich weich und angenehm anfühlen. Die Farben und die Muster sollten so zurückhaltend sein, daß die Individualität des Kindes zum Ausdruck kommen kann.

Die Kleidung hat die Aufgabe zu wärmen, aber auch Schweiß aufzunehmen, die Haut atmen zu lassen. Für kleine Kinder ist Wolle vorteilhaft, da sie Feuchtigkeit nach außen transportiert. Angesichts zunehmender Allergien sind Naturfasern zu empfehlen, die keine oder möglichst wenig Schadstoffe und chemische Stoffe aus Herstellung und Reinigung enthalten.

Märchen

Der Märchenkreis ist meist die Abschlußrunde im Kindergarten. Man setzt sich gemütlich im Stuhlkreis zusammen, singt Lieder, und die KindergärtnerIn erzählt eine Geschichte oder ein kleines Märchen. Es wird über einen Zeitraum von 3-4 Wochen die gleiche Geschichte erzählt. Die Kinder leben sich dadurch in den Inhalt ein und genießen die Wiederholung. 

Den Satz von Bruno Bettelheim "Kinder brauchen Märchen" könnte man abwandeln in "Kinder brauchen Verse, Geschichten und Märchen". Bei den ganzen Kleinen erlebt man ihre Faszination von Fingerspielen und Kniereitern. Dabei kommt es nicht so sehr auf den Inhalt des Textes als vielmehr auf seine rhythmische Gestaltung an.

Im Kindergartenalter lieben die Kinder rhythmische Geschichten, also Geschichten, in denen derselbe Sachverhalt immer wieder wiederholt und erweitert wird, z.B. Das Rübchen, oder zum Schluß in umgekehrter Reihenfolge wieder aufgelöst wird. Die Geschichten regen die Gedächtnisleistung enorm an, ohne es einseitig intellektuell zu belasten. Denn kleine Kinder lernen nicht durch logische Zusammenhänge, sondern durch Rhythmus und Klang. In früheren Kulturen, wurden in dieser Form Legenden und Mythen erzählt und von einer Generation an die andere weitergereicht. Das Kind durchläuft in seiner Lernentwicklung die Stadien früherer Menschheitsepochen.

Wann erzählt man sinnvollerweise Märchen? Die eigentliche Zeit des Märchenerzählens umfaßt die Altersspanne von fünf bis acht Jahre. In den Märchen werden innere Entwicklungswege, geistige Wahrheiten zum seelischen Miterleben gebracht. Dazu muß das Kind eine gewisse Reife erreicht haben, um diese Inhalte aufnehmen zu können. Das Kindergartenkind ist damit oft noch überfordert.

Reigen

Ausgewählte Verse und Lieder zur Jahreszeit werden durch sinnvolle Gesten begleitet und zu einem freien rhythmischen Spiel gestaltet. Durch den Wechsel von Sprache-Musik, laut-leise, groß-klein, ruhig-bewegt, erhält der Reigen seinen Spannungsbogen. Die Freude an dem musikalisch-rhythmischen Element übertragt sich auf die Kinder, die nachahmend diese Gesten aufgreifen. Der Reigen bietet eine gute Möglichkeit für die Pflege von Sprache, Musik und sinnvoller Bewegung.

Jahresfeste

Die Jahresfeste haben ihren Bezug zu bestimmten religiösen Ereignissen und hier zu den Jahreszeiten. Durch die Jahresfeste haben die Kinder die Möglichkeit, eine natürliche religiöse Stimmung zu empfinden. Die Stimmung der Jahresfeste spiegelt sich in der Raumgestaltung (Jahreszeitentisch, Woll-wandbild, Blumenschmuck), den Liedern und Versen im Reigen und in der Auswahl der Geschichten im Märchenkreis wider.

Im Kindergarten wird Erntedankzeit, Michaeli, St. Martin, Advent, die Heiligen Drei Könige, Fasching, Ostern, Pfingsten und Johanni gefeiert. Das Kindergartenjahr endet mit dem Schulanfängerabschlußfest. Jeder Waldorfkindergarten ist christlich geprägt, aber nicht konfessionell gebunden.

In anderen Ländern und Kulturen werden die Impulse der Waldorfpädagogik gemäß der dortigen Kultur umgesetzt. Das christliche Element lebt dort in der Akzeptanz der anderen Religionen und Kulturen. Jedes Land und jede Kultur findet ihren eigenen Weg, die Waldorfpädagogik mit ihren Traditionen in Übereinstimmung zu bringen, so gibt es zum Beispiel jüdische, moslemische und indianische Waldorfkindergärten.

Sensorische Integration

Jean Ayres fand in ihrer Arbeit als Beschäftigungstherapeutin heraus, daß viele Entwicklungsstörungen und Lernschwierigkeiten ihre Ursache darin haben, daß die Sinnesreize im Gehirn nicht richtig verarbeitet werden können. Sie forschte über die Wahrnehmungsverarbeitung von Sinnesreizen im Gehirn und entwickelte die Grundlagen der "Sensorischen Integration".

Bis zum Alter von sieben Jahren das Gehirn vorwiegend eine "Verarbeitungs-maschine" sinnlicher Wahrnehmungen. Das bedeutet, daß es Dinge fühlt und deren Bedeutung direkt über die Empfindungen erfaßt. Ein junges Kind macht sich nicht viele Gedanken und Ideen über Gegenstände; es ist vorwiegend damit beschäftigt, sie zu fühlen und seinen Körper in Beziehung zu diesen Empfindungen reagieren zu lassen. Seine Anpassungsreaktionen gehen eher von den Muskeln als vom Verstand aus. Sie sind viel eher motorisch als geistig konzipiert. Und deshalb nennt man die ersten sieben Jahre im Leben eines Kindes die Jahre das sensomotorischen Entwicklung. Wenn das Kind älter wird, ersetzen geistige und soziale Reaktionen einen Teil der sensomotorischen Aktivitäten. Trotzdem sind geistige und soziale Funktionen auf sensomotorischen Prozessen aufgebaut. Die sensorische Integration, die sich beim Bewegen, Reden und Spielen vollzieht, ist die Grundlage für die komplexere sensorische Integration, die nötig ist für Lesen, Schreiben und gutes Verhalten. Wenn die Prozesse der Sensomotorik in den ersten sieben Jahren des Lebens gut geordnet worden sind, wird es das Kind später leichter haben, geistige und soziale Fähigkeiten zu erlernen.

A. Jean Ayres: Bausteine der kindlichen Entwicklung, Springer Verlag 1998

Rhythmus im Tages- und Jahresverlauf

Das Kind braucht für seine gesunde Entwicklung Rhythmus und Wiederholung. Es ist eingebunden in die Kreisläufe der Natur, die sich im Tag-/Nachtrhythmus und in den Jahreszeiten zeigen. Deshalb achten wir auf einen geregelten Tagesablauf, in dem das Kind zwischen Wach- und Schlafzeiten und im Wachsein zwischen aktiven und eher passiven Zeiten wechselt. Jeder Tag im Waldorfkindergarten gliedert sich in Zeiten, in denen die Kinder ganz aus ihren eigenen Kräften tätig sind – Freispiel drinnen und draussen - und Zeiten, in denen sie durch die KindergärtnerIn konkret angeregt werden - im Reigen und im Märchenkreis. So findet ein Atmungsvorgang statt: Einatmen, also Phasen des Innehaltens, Aufnehmens wechseln mit Ausatmen, Phasen des Ausströmens, nach außen Agierens ab. Jeder Tag bekommt so seinen Rhythmus.

Jeder Wochentag hat einen kleinen Höhepunkt. Es werden jeden Tag bestimmte Aktivitäten und ein bestimmtes Frühstück angeboten, zum Beispiel: Montag – Wachskneten und Milchreis, Dienstag – Eurythmie und Rohkost mit Knäckebrot, Mittwoch – Brotbacken und Hirsebrei, Donnerstag – Wasserfarbenmalen und Vollkornbrot, Freitag – Wandern und Müsli. So bekommt die Woche eine Struktur, die den Kindern Sicherheit und eine Orientierungshilfe gibt. ("Noch zweimal Wassermaltag, dann hast du Geburtstag.")

Die Wochen stehen wiederum unter dem Zeichen der Jahreszeiten und der Jahresfeste. Am Wechsel der Jahreszeiten erleben die Kinder die Vorgänge in der Natur in lebendiger und tiefer Weise. Sie spüren die unterschiedliche Stimmungen im Jahreslauf: Frühling – Erwachen des Lebens und Aufbruch, Sommer – Fülle und Lebenskraft, Herbst – Ernte und Einkehr, Winter – Ruhe und Innerlichkeit. Entsprechend der Jahreszeit wird im Kindergarten der Jahreszeitentisch gestaltet.

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